© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/05 04. November 2005

CD: Klassik
Pfitznerzeit
Jens Knorr

Auch wenn von einer Pfitzner-Renaissance noch nicht gesprochen werden kann, werden die Impulse, die von seinem störrischen Komponieren und Denken ausgehen, wieder deutlicher wahrgenommen. Vor zwei Jahren mißglückte der Versuch Berliner Musikstudenten, Pfitzners Spieloper in zwei Akten "Das Christ-Elflein" im Saalbau Neukölln als Weihnachtsmärchen wiederzubeleben. Im vorigen Jahr gelangen dem Münchner Rundfunkorchester unter Claus Peter Flor in der Philharmonie am Gasteig zwei akzeptable konzertante Aufführungen des Werks, deren Zusammenschnitt das Osnabrücker Label cpo innerhalb seiner Pfitzner-Edition rechtzeitig zu Weihnachten veröffentlicht hat (cpo 777 155-2).

Verglichen mit der Einspielung von 1979 unter Kurt Eichhorn (Orfeo C 437 9921) läßt Flor das Orchester die Ouvertüre dramatisch, ja, angriffslustig angehen, aber bald schon in gefälligen Festtagstrott zurückfallen. Pfitzners Allerlei aus Engelpantomime und Hellawald, Armheinrichs Siechenbett und Palestrinas Komponierklause, aus wilden Schmerzen und wüstem Traum und Weihnachtslied scheint eher nivelliert denn geklärt. Prekär die Zusammensetzung des Solistenensembles, es ist im wesentlichen den Sopranen Marlis Petersen in der schwierigen Koloraturpartie des Christ-Elfleins, Martina Rüping als Christkindchen und dem Tölzer Knabenchor zu danken, daß die Gratwanderung zwischen Kunstgewerbe und Familienkitsch im allgemeinen glücklich bewältigt wird und die Musik des Modernisten wider Willen Pfitzner über die Handlung hinaus heute noch und wieder neu anzurühren vermag - als Kunst. Im besonderen die Tölzer Knaben treffen den naivitätssüchtigen, kristallinen Ton der Komposition in Nr. 9 "Oh komm' in unsre Mitte" und in den beiden Finale mit sicherem Instinkt; hierin, aber nur hierin, erscheint die neuere als bedenkenswerter Gegenvorschlag zur älteren Aufnahme.

Wie Hans Pfitzner heute gespielt werden könnte, das steht auch aus dieser Aufnahme nicht zu erfahren. Wiederum werden anstatt der originalen Dialoge die Texte von Alois Fink gesprochen, diesmal von der Schauspielerin Andrea Sokol. Die unfreiwillige Komik des Librettos der Ilse von Stach wird zwar umgangen, doch um den Preis gravierender Eingriffe in die musikalische Substanz, etwa wenn die Musik des Melodrams im zweiten Akt nun der Erzählerstimme unterlegt ist.

Aber läuft in der Handlung wirklich alles so durcheinander, ist sie so hoffnungslos antiquiert, daß es zum Verständnis der vermittelnden Märchentante bedarf? Was es mit den drei Welten auf sich hat, die Pfitzner in seiner Spieloper durchaus planvoll zusammenbringt - die Welt des Christkindchens, Knecht Ruprechts und der Engel, die Welt der beseelten Natur ohne Glauben, des Tannengreises und der Elfen sowie die Welt der Menschen, die den Glauben verloren haben -, das erläutert im Beiheft ganz unaufgeregt Robert Braunmüller unter dem Titel "Schopenhauer für Kinder". Denn ohne Verständnis von Pfitzners völkisch-nationalem Weltbild und seinem deutschen Christentum sind weder das Lied vom Tannenbaum Nr. 10, das er auf einen eigenen Text komponierte und 1917 dem zur Spieloper umgearbeiteten Schauspiel mit Musik von 1906 einfügte, noch der Erlösungsgedanke seines "Taschen-Parsifal" zu verstehen.

Die Fabrikantentochter darf vom Totenbett auferstehen, weil der belesene Bruder aus der Stadt wieder glauben gelernt hat. Und das Naturwesen darf in den Himmel eingehen, weil es sich für einen Menschen geopfert und dadurch eine unsterbliche Seele bekommen hat. Doch szenisch erlöst, auf daß es nun auch ins Bühnenrepertoire einginge, ist Pfitzners "Christ-Elflein" bis heute nicht.


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