© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/05 04. November 2005

Bei Anruf Tod
Kino: Takashi Miikes "The Call" verzichtet auf Blutorgien
Claus-M. Wolfschlag

Bei einem Abendessen mit Freunden im Restaurant bekommt die College-Studentin Yoko Okazaki (Anna Nagata) einen seltsamen Anruf auf ihrem Mobiltelefon. Er kündigt sich nicht mit dem gewohnten Klingelton an, sondern einer fremden Melodie, zudem zeigt das Display ihre eigene Nummer. Das Anrufdatum liegt zwei Tage in der Zukunft. Als das Mädchen die Nachricht von übermorgen abhört, vernimmt sie ihre eigene Stimme: "Oh nein, es regnet!" Danach folgt ein entsetzter Schrei, der von ihr selber stammt. Zwei Tage später bekommt ihre Freundin Yumi Nakamura (Kou Shibasaki) zu Hause einen Anruf von Yoko. Yoko will sich mit ihr verabreden, und plötzlich sagt sie: "Oh nein, es regnet!" Danach schreit sie markerschütternd. Sie hatte von einer Eisenbahnbrücke aus telefoniert und ist von dort auf einen durchfahrenden Zug gestürzt.

Ein Freitod der lebenslustigen Yoko scheint ausgeschlossen, und Yumi erfährt von Mitschülerinnen, daß es bereits mehrere mysteriöse Todesfälle gegeben habe, die sich durch einen Anruf aus der Zukunft ankündigten. Man sagt, daß dahinter der Fluch einer voll Haß gestorbenen Frau stecke. Weitere Tode folgen, und alle Leichen haben einen roten Bonbon im Mund. Yumi lernt Hiroshi Yamashita (Shinichi Tsutumi) kennen, der vor sechs Monaten seine Schwester nach einem Anruf verloren hatte. Beide sind nun überzeugt, es mit einer okkulten Macht zu tun zu haben. Der Ton eines Inhalationsgeräts für Asthma-Kranke, den Yumi während einer Todesaufnahme gehört hatte, bringt die Amateurdetektive auf die Spur eines erstickten kleinen Mädchens.

Takashi Miike wurde international bekannt durch seinen mehrfach preisgekrönten Mystery-Thriller "Audition". Auch hier spielt er mit tiefsitzenden Furcht vor dem in uns hausenden unbekannten Triebwesen. Zudem thematisiert er die soziale Vereinzelung in Japans verwestlichter Hightech-Kultur.

Der Regisseur wurde 1980 in der Kleinstadt Yao, unweit von Osaka, geboren. Das Arbeiterkind war früh von dem Filmstar Bruce Lee fasziniert. Mit 18 begann er in Yokohama ein Filmstudium. Der undisziplinierte Student wuchs als Regieassistent langsam in die Branche hinein. Bis zu vier Filme drehte der Japaner schließlich im Jahr, über 60 sind es bereits seit dem Beginn seiner Regietätigkeit 1991.

In "The Call" verzichtet Miike weitgehend auf Ekelszenen und den in seinen Filmen häufigen Blutrausch, sondern versucht die Zuschauer eher mit einer ausgefeilten Inszenierung zu fesseln. Das Spiel mit dem Mysterium tritt hier deutlicher zutage als bei üblichen phantastischen Schlitzerfilmen, denen es mehr um die puren Schockeffekte geht. Dabei wird auch mit der modernen Handy-Manie ironisch gespielt. Das bei jeder Gelegenheit geliebte Gerät, scheinbar ein Lebenselixier insbesondere junger Menschen, wird zum düsteren Todbringer umfunktioniert. Der Klingelton und die grauenvollen Anrufe dienen als Klammer, die die Mordserie zusammenhält.

Die Geschichte erweist sich aber, trotz der stellenweise spannenden Dramaturgie , als verworren. Zudem erinnert sie stark an den Film "Ringu" von Hideo Nakata, die 2002 von Gore Verbinski unter dem Titel "The Ring" für den amerikanischen Markt nachproduziert wurde. In dem Horrorthriller dreht sich alles um ein gefährliches Videoband. Wer sich die Videokassette angesehen hat, erhält kurz darauf einen Telefonanruf mit präziser Todesankündigung, die sich binnen sieben Tagen erfüllt. Mehrere Teenager müssen auf diese Weise grausam dran glauben.

"The Call" ist an den Erfolg von "The Ring" angelehnt, erscheint allerdings weniger ausgefeilt. Der Handy-Wahn ist hier allgegenwärtig. Es bedarf deshalb keines besonderen Nervenkitzels, keines Schrittes in eine verbotene Zone, um seine Mailbox abzuhören. Auch kündigt sich der Tod nicht durch seltsame Visionen an, sondern erscheint meist plötzlich und - abgesehen von dem furchterregenden Anruf aus der Zukunft - ohne weitere Vorwarnung.

Fazit: Wir alle sind vernetzt und ausgeliefert. Wir alle können von den Flüchen böser Wesen, wie von einem auf den Datenautobahnen kreisenden Virus, ereilt werden. Jeder. Jederzeit. Mehr oder weniger blutig.

Foto: Yumi Nakamura (Kou Shibasaki): Vernetzt und ausgeliefert


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