© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/05 04. November 2005

Das Ende der US-Vorherrschaft steht kurz bevor
Samuel P. Huntington und Johan Galtung sprachen auf Schloß Neuhardenberg über die Zukunft globaler Konzeptionen
Curd-Torsten Weick

Globalisierung? Globalität? Oder doch vielleicht Globalismus? Wenn es um Form und Inhalt der weltweiten Vernetzung geht, die den Globus in den letzten Jahren überzogen hat, scheiden sich die Geister. Um etwas Licht ins Dunkel der großen Hoffnungen und der massiven Ängste zu bringen, die das Thema stets begleiten, lud die Stiftung Schloß Neuhardenberg den renommierten US-amerikanischen Politologen Samuel P. Huntington (78) und den Gründungsvater der Friedens- und Konfliktforschung, Johan Galtung (75), zum Gespräch.

Ein Wagnis-Abend wurde prognostiziert. Doch was dann entstand, war kein gewagtes Streitgespräch. Vor allem lag dies daran, daß der durch seinen Essay "Kampf der Kulturen" berühmt gewordene Huntington dem geistreichen und wortgewandten "Idealisten" aus Norwegen keinen entsprechenden Widerstand entgegensetzte. Realismus statt Idealismus war Huntingtons Devise. Damit fiel es ihm schwer, das Publikum auf seine Seite zu ziehen. Denn Galtung zog alle Register seiner US- und vor allem Bush-feindlichen Haltung. So ließ der Träger des alternativen Friedensnobelpreises keinen Zweifel daran, daß er die Globalisierung in ihrer heutigen Ausformung ökonomischer Verflechtung als Produkt der auf Hegemonie ausgerichteten US-Wirtschaftspolitik mißbilligend betrachte. Doch nicht mehr lange: "Die USA sind politisch zunehmend isoliert", ließ er triumphierend verlauten, "so sehr ich Amerika auch liebe - ich verabscheue das US-amerikanische Imperium, und ich glaube, spätestens im Jahre 2020 ist's vorbei mit der Vorherrschaft. C'est fini, mon ami!"

Es gebe eine Grenze, "wieviel Böses man tun kann", betonte Galtung und verwies dabei auf die tagtäglichen Opfer der "Globalisierung von oben" - die 125.000 an Hunger und Not sterbenden Menschen. Damit müsse Schluß sein. Endlich, so Galtung, müßten alle "an einem Strang ziehen, um ein Leben in Würde zu erreichen. Ein Leben, in dem alle Grundbedürfnisse befriedigt sind."

Nachdem der Norweger sein Ideal-Weltbild ausgebreitet hatte, blieb dem US-Amerikaner kaum Platz für Phantasievolles. Sicher hätten die Amerikaner die Globalisierung "maßgeblich vorangetrieben", erklärte Huntington, doch das "wird sich ändern". Nichtsdestotrotz sei sie eben kein von oben aufgezwungenes Modell, sondern als Prozeß zu verstehen, bei dem in Zukunft viele Länder - er nannte als Beispiele Japan, Ostasien, Indien, Südasien, für Deutschland Mittel- und Osteuropa oder Saudi-Arabien - sowohl ökonomisch als auch auf sozialem und kulturellem Gebiet miteinander konkurrieren würden. Und im Ergebnis eine "gleichmäßigere Verteilung der Macht auf der Welt" garantierten: "Vielleicht bin ich zu optimistisch, aber ich glaube doch, daß dieser Wettbewerb wahrscheinlich zu mehr positiven als negativen Ergebnissen führen wird." Positive Erfolge der Globalisierung von heute hatte der Harvard-Professor aber auch zu bieten. So konstatierte er einen Rückgang der Konflikte auf der Welt und gab zu bedenken, daß es den Armen im Vergleich zu früher heute bessergehe.

Solch positive Deutung mochte die Gründerfigur der Friedensforschung nicht hören, sondern prognostizierte statt dessen zunehmende Konflikte. "Je größer, der Druck von oben, je größer der Widerstand", erklärte er und verwies auf einen Globalisierer von unten, den Helden von Lateinamerika: den venezolanischen Präsidenten und Dorn im Auge der US-Regierung Hugo R. Chávez.


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