© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/05 04. November 2005

Das Zentrum wankt
Erinnerungspolitik: Unter dem Druck der Koalitionsverhandlungen gibt sich der Bund der Vertriebenen kompromißbereit / Steinbach bietet Zugeständnisse an
Josef Hämmerling

Das geplante Zentrum gegen Vertreibungen, das der Bund der Vertriebenen (BdV) in Berlin errichten wollte, droht zwischen den Fronten zerrieben zu werden. Hatte BdV-Präsidentin Erika Steinbach bislang gegen jeden Widerstand an den Plänen festgehalten, schwenkte sie am vergangenen Wochenende plötzlich um.

Anstatt eines eigenen Zentrums, das der Vertreibung von mehreren Millionen Deutschen nach Ende des Zweiten Weltkriegs gedenken sollte, könne sie sich auch eine übergeordnete Stiftung einer öffentlich-rechtlichen Trägerschaft vorstellen, sagte sie. Auch müsse diese neue "übergeordnete Stiftung", in der Vertriebenen-Gedenkprojekte in ganz Deutschland gebündelt werden könnten, nicht zwingend unter ihrem Vorsitz stehen.

Hintergrund dieses Meinungsumschwungs sind die Verhandlungen zwischen CDU, CSU und SPD über eine Große Koalition. So meint dann auch der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Gert Weisskirchen, das Thema sei "in den Koalitionsverhandlungen strittig" und man habe es dabei mit "Explosivstoff" zu tun. Die SPD lehnt ein eigenes deutschen Vertreibungszentrum, das zudem vom Bund finanziell unterstützt wird, kategorisch ab. Vielmehr fordern die Sozialdemokraten, daß sich dieses Zentrum an den Grundlinien von Johannes Rau und Aleksander Kwasniewski orientieren müsse.

In der sogenannten Danziger Erklärung hatten der scheidende polnische Präsident Kwasniewski und der damalige Bundespräsident Rau 2004 zu einem europäischen Dialog bezüglich der Themen Flucht und Vertreibung aufgerufen. Die deutsche Staatsministerin für Kultur, Christina Weiss (parteilos), und die Kulturminister von Polen, der Slowakei, Tschechien, Ungarn und Österreichs verständigten sich daraufhin auf ein Netzwerk, das Flucht und Vertreibung in ganz Europa dokumentieren sollte. Das geplante Europäische Netzwerk Erinnerung und Solidarität, das nun lediglich die Zusammenarbeit von bestehenden Museen und wissenschaftlichen Einrichtungen fördern sollte, wurde am Ende nur noch von Deutschland, Polen, der Slowakei und Ungarn unterstützt (JF 7/05). Alle anderen Länder waren abgesprungen. Zudem sollte das Thema der Vertreibung der Deutschen durch Polen nur noch am Rande behandelt werden.

Wesentlichen Anteil hieran hatte der neugewählte polnische Präsident Lech Kaczynski, der mit einem deutschfeindlichen Wahlkampf die entscheidenden Stimmen für seinen Sieg holte. Noch am Abend seiner Wahl erklärte der Nationalkonservative, es dürfe in Deutschland und vor allem in Berlin kein Zentrum zum Gedenken an die Vertreibung der Deutschen geben. Vielmehr dürfe man nie vergessen, daß die Polen die ersten Opfer des von Deutschland begonnenen Weltkriegs waren und viele Millionen Opfer zu beklagen hatten. Ein derartiges Zentrum würde die deutsche Alleinschuld aber relativieren und Polen vom Opfer zum Täter machen, sagte Kaczynski.

Diese Vorwürfe hatte die BdV-Präsidentin lange entschieden zurückgewiesen. Sie verwies darauf, daß es bei diesem Zentrum nicht darum gehe, Polen an den Pranger zu stellen, sondern der deutschen Opfer zu gedenken. Darüber hinaus sollte neben dem Bereich, in dem die Siedlungsbiete und -geschichte der rund zwölf Millionen betroffenen Deutschen sowie ihre Flucht dokumentiert würde, auch eine Abteilung entstehen, die sich den Vertreibungen von dreißig Völkern widme, darunter auch Polen. Aber: "Wir schreiben weder Franzosen noch Briten noch Polen vor, wie sie mit ihrer Geschichte umzugehen haben - da kann man erwarten, daß man auch von den Nachbarn pfleglich behandelt wird", verteidigte Steinbach das Zentrum für Vertreibungen.

Nun muß der Bund der Vertriebenen seine Pläne aber wohl aufgrund der Koalitionszwänge aufgeben beziehungsweise sich mit einer Kompromißlösung zufrieden geben, die deutsche Interessen nur unzureichend befriedigt. Zwar lehnte Steinbach eine möglicher Beteiligung Polens oder Tschechiens an der Stiftung kategorisch mit dem Hinweis ab, es handele sich dabei um "eine innerdeutsche Angelegenheit", doch auch hier scheint das letzte Wort noch nicht gesprochen zu sein.

Denn der CDU-Kulturpolitiker Christoph Stölzl, der auch Mitglied im Beirat des Zentrums gegen Vertreibungen ist, sprach sich bereits im Berliner Tagesspiegel für die Mitwirkung der Nachbarländer an einer öffentlich-rechtlichen Stiftung aus. Es sei "jetzt an der Zeit, das Erinnern an Vertreibungsschicksale nicht Interessengruppen allein zu überlassen", sondern dieses zu einer grenzüberschreitenden öffentlichen Aufgabe zu machen, sagte Stölzl.

Foto: Angela Merkel und Erika Steinbach: Geordneter Rückzug


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