© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/05 04. November 2005

Schweinchen Babe in der gemordeten Stadt
Reklame für überflüssige Ware: Der Grünen Zitadelle in Magdeburg trieft das Merchandising aus allen Poren
Arne M. Schemmerling

Wer in Mitteldeutschland in diesen für die Immobilen- und Bauwirtschaft so düsteren Zeiten in Wohnungsneubau investiert, möchte sich schon etwas Besonderes einfallen lassen, gerade in Magdeburg mit seinen 30.000 leerstehenden Wohnungen und 20 Prozent Arbeitslosigkeit.

Im Verbund mit der Nord-LB investierte die Centum Aqua Immobilien GmbH & Co. KG, eine Tochter der GERO AG (Hauptgesellschafter: Bistum Magdeburg), 27,1 Millionen Euro in die am 3. Oktober eingeweihte "Grüne Zitadelle", das vermutlich letzte nach den Plänen des 2000 verstorbenen Künstlers Friedensreich Hundertwasser verwirklichte Bauprojekt.

In einem Manifest von 1999, nachzulesen auf der Internetseite gruene-zitadelle.de, lobt der Meister sein Werk ganz unbescheiden als "Oase für Menschlichkeit und für die Natur", welches "die Sehnsucht der Menschen nach Romantik verwirklichen" solle und sich "traditionsgebunden und mit einer gewissen Strenge perfekt in die Umgebung des Domplatzes einfügt und dennoch revolutionär und innovativ ist, weil es in die Zukunft weist, (...) Ausgleich und (...) Brücke zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft" sowie "Mehrung von Kulturgut" sei.

Der Aufschrei des Feuilletons (FAZ: "Trutzburg mit Krokant", Deutschlandradio: "Eine unglaubliche Kitschallüre") erfolgte umgehend, vom umstrittenen Standort war die Rede. Gemeinsam mit der Provinzpresse weidete man sich am grotesken Zank des Bauherrn mit Hundertwassers Nachlaßverwalter kurz vor der Einweihung über die Ausführung von Toilettendetails, Innenanstrichen und Dachbegrünung.

In Magdeburg stört ein Hundertwasser-Haus nicht

In unmittelbarer Nachbarschaft eines Neubau-Bürokomplexes, eines neugotischen Postgebäudes, von Wohnbebauung der Stalinzeit und barocken Landtagsgebäuden gelegen, fügt sich die "Grüne Zitadelle" tatsächlich in die heterogene Umgebung mit ihren fünf bis sechs Geschossen ein, nimmt die Straßenflucht des Breiten Weges auf und bildet mit der benachbarten Bebauung Straßen- und Gassenräume. Die Blockecken der "Grünen Zitadelle" sind durch Türme und Hauben betont. Der etwas weiter entfernte gotische Dom und die romanische Klosterkirche Unserer Lieben Frauen werden nicht, wie vielfach befürchtet, optisch beeinträchtigt.

Der im Grundriß nahezu rechteckige Baublock wird durch zwei öffentlich zugängliche Innenhöfe gegliedert, verbunden durch mehrere Passagen nach außen. Der Aufriß ist vielfach in einer asymmetrischen Komposition aus Vor- und Rücksprüngen, Türmen, Erkern, Loggien, Balkonen, Laubengängen, Terrassen und Grünflächenrampen strukturiert.

Die Nutzung der vermietbaren Fläche von ca. 11.300 Quadratmetern erfolgt im Erd- und ersten Obergeschoß durch Gewerbe (dreißig Ladengeschäfte für Handel, Gastronomie, Hotel; acht Büroeinheiten) und einen Kindergarten mit 58 Plätzen sowie in den restlichen Obergeschossen durch 55 Wohnungen. Im Untergeschoß ist eine Tiefgarage vorhanden. Sämtliche nicht als Terrassen genutzten horizontalen und schrägen Dachflächen sind mit intensiver Begrünung ausgeführt.

Die im Bombenkrieg nahezu vollständig ausgelöschte und in der Nachkriegszeit endgültig gemordete Altstadt Magdeburgs wurde in den letzten Jahrzehnten von zahllosen Bausünden heimgesucht. Wo war der Aufschrei der Kritiker beim Bau der monströsen Einkaufszentren aus Glas, Plastik und Wellblech, und wer geißelte den Hardcore-Kitsch des benachbarten Neubaus der Nord-LB mit seiner glitschigen Verblendung aus bläulichem Übersee-Marmor? Heute präsentiert sich Magdeburg analog fast jeder größeren westdeutschen Stadt als heterogenes Sammelsurium des Nachkriegs- und Neomodernismus mit Resten der Vorkriegsbebauung: kalt, zugig, unwirtlich und sicherlich die letzte Umgebung, wo ein Hundertwasser-Haus stören würde.

Selbstverständlich handelt es sich weniger um eine künstlerische Leistung als um eine knallharte Reklame-Masche für eigentlich überflüssige Ware auf dem umkämpftem Immobilienmarkt: Hundertwasser lieferte die künstlerisch-ökologische Oberflächenvergütung (Image) eines Allerweltsproduktes, dafür bekam er neben dem Honorar die Möglichkeit, sich ein weiteres Denkmal zu setzen, Ruhm und Bekanntheit zu steigern und den Verkauf seiner Devotionalien zu fördern. So kann man im obligatorischen Hundertwasser-Shop neben Eintrittskarten und Kunstdrucken auch allerlei Tinnef (Hundertwasser-Tee, -Espresso, -Grütze usw.) erwerben. Der Investor wiederum profitiert vom Nimbus der Marke Hundertwasser, die sein ansonsten beliebiges Produkt aus der Masse der Konkurrenz heraushebt. Das Ergebnis ist eine Hundertwasser-Attrappe, der das Merchandising aus allen Poren trieft.

Statt eine der vielen häßlichen und leerstehenden Bauhaus-Schachteln durch kreative Zerstörung bzw. Umbau und Einsatz entsprechender Bautechniken ökologisch vorbildlich zu sanieren und den umgebenden Stadtraum dadurch aufzuwerten, riß man den Vorgänger-Plattenbau kurzerhand ab, klotzte einen Stahlbeton-Rohbau hin und verkleidete diesen mit einer Orgie aus Steinwolle und Plastikschaumstoff, applizierte darüber eine pockennarbige Putzoberfläche von wahrscheinlich sehr begrenzter Haltbarkeit (wie aus einem Spaßbad oder einer Ritterkneipe kopiert), strich sie schweinchenrosa-gewölkt an und bekrönte das Ganze mit vergoldeten Plastikkugeln. Die Fenster, bei Hundertwasser eigentlich besonders wichtige Details, weisen - obwohl sie aus Holz gefertigt sind - klobige Profilbreiten auf und sind häufig mit feststehender Verglasung (z. B. nicht zu öffnende Oberlichter) ausgestattet.

Schade auch, daß es für richtige Zwiebelhauben nicht gereicht hat (bei früheren Entwürfen gab es goldene und blaue), so müssen sich die Magdeburger mit seltsamen Scheibenkronen begnügen, die wie gigantische Laubsägearbeiten aussehen.

Doch nicht nur an der Gebäudehülle, auch im Innenausbau zeigt sich das Primat des Ökonomischen. So ist der Westflügel über einen schmalen Mittelflur erschlossen, was zur Folge hat, daß etliche der dort abgehenden Wohnungen nur nach einer Himmelsrichtung belichtet sind. Was dies für die Belüftungsmöglichkeit bedeutet, kann sich jeder vorstellen, der schon einmal Speck und Zwiebel gebraten hat, insbesondere wenn, wie in einigen Fällen, nur eine "amerikanische Küche" (sprich: zum Wohnbereich offene Kochnische) vorhanden ist. Bäder, Duschen- und Toilettenräume sind im Vertrauen auf die moderne Technik häufig ohne Fenster ausgestattet und platzsparend im Inneren des Gebäudes angeordnet.

Daß es sich beim tragenden Stahlbetonskelett um eine besonders praktische Bauweise handeln muß, werden noch viele Mieter der Wohnungen zu schätzen lernen, in welchen sich eine oder gar mehrere freistehende Stahlbetonsäulen befinden, meistens mitten im Zimmer und selbst in den engsten Küchen.

Kronleuchter kann man sich hier nicht aufhängen

Insgesamt ist die Grundrißaufteilung mit ihren verwinkelten Ecken, gefangenen Räumen hinter Durchgangszimmern und engen Fluren recht ungeschickt und wenig großzügig ausgefallen. Die niedrigen lichten Raumhöhen geben zu erkennen, daß auch Hundertwasser nur Wohnflächen statt -räume entwarf, auf das Anbringen von Kronleuchtern müssen die Mieter also verzichten. Statt Dielung oder Parkett bietet man günstiges Plastikpaneel (sprich: Laminat) an, immerhin konnte man sich bei den Innentüren noch zu klarlackierter Astloch-Fichte entschließen.

Die Ausstattung der Wohnungen entspricht im großen und ganzen dem hiesigen Baumarkt-, pardon: Neubaustandard, nennenswerte Unterschiede zu sanierten Plattenbauwohnungen sind nicht zu erkennen. Wer wirklich gehobenen Wohnkomfort möchte, kann sich bei um die neun Euro Kaltmiete zuzüglich drei Euro Nebenkosten in Magdeburg auch knapp die doppelte Menge Jugendstil-Altbauwohnung leisten: denkmalsaniert, mit hohen Räumen, Deckenstuck, Parkett und alten Türen.

Führungen durch die Grüne Zitadelle finden täglich von Montag bis Freitag um 11 Uhr, 15 Uhr und 17 Uhr sowie am Wochenende halbstündlich zwischen 10 und 17 Uhr statt. Kartenverkauf in der Hundertwasser-Information, Breiter Weg 202. Kosten: 6 Euro. Tel. 03 91 / 5 44 66 67, Internet: www.gruene-zitadelle.de

Fotos: Grüne Zitadelle in Magdeburg nach Plänen von Friedensreich Hundertwasser: Oberflächenvergütung / Eckturm mit Zwiebelhaube: Gigantische Laubsägearbeit


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