© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/05 11. November 2005

Schlechtes Zeugnis für die Integrationspolitik
Internationaler Schulvergleich: Bedeutung von Schulform und Ausländeranteil in den Klassen / Detaillierter Vergleich der Bundesländer
Ellen Kositza

Die Rede von der Bildung als deutschem Exportschlager Nummer eins war bereits seit der Veröffentlichung der Ergebnisse eines internationalen Schülervergleichs in Mathematik und Naturwissenschaften (TIMSS) 1997 verstummt. Die Testleistung deutscher Schüler erwies sich damals als höchstens mittelmäßig, in Teilen gar darunter - in Bereichen der mathematischen Grundbildung, so wurde attestiert, gelangten 70 Prozent der Teilnehmer nicht über das Niveau der Beherrschung einfacher Routinen hinaus, sogar 40 Prozent der Gymnasiasten würden schon bei elementaren Rechenaufgaben unsicher.

Dies war nur das Vorbeben zum folgenden "Pisa-Schock", und seither wird getestet, veröffentlicht und kommentiert, was das Zeug hält. Die Daten, Statistiken und Stellungnahmen, die nun in der vergangenen Woche Titelseiten füllten, beziehen sich auf die bereits im Vorjahr vorgestellte internationale Schulleistungsvergleichsstudie "Pisa 2003" mit Schwerpunkt Mathe und betreffen nun den detaillierten Vergleich der Bundesländer. Zwei Länder in West- und drei in Mitteldeutschland dürfen sich demnach auf die Schultern klopfen: Bayern - das zur internationalen Spitzengruppe gerechnet werden darf -, Baden-Württemberg, Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt, wobei vor allem die drei östlichen Länder einen signifikanten Punktegewinn gegenüber Pisa 2000 zu verzeichnen haben. Vier Länder dagegen liegen weiterhin abgeschlagen unter dem Durchschnitt der teilnehmenden OECD-Staaten; neben den drei Stadtstaaten ist dies Nordrhein-Westfalen. Bremen etwa fährt einen Mittelwert von gerade 471 Punkten ein (Bayern zum Vergleich 533) und wird damit nur von Mexiko, der Türkei und Griechenland unterboten. Ein bayerischer Realschüler kann demnach bereits mit dem Niveau eines niedersächsischen Gymnasiasten mithalten.

Das wesentliche Problem dürfte also nicht mehr in einer Ost-West-Kluft liegen, überdeutlich aber mit zwei anderen Faktoren in Beziehung zu setzen sein: mit der Schulform und mit dem Ausländeranteil in den Klassen. Daß der niedrige Migrantenanteil (unter sechs Prozent) in drei der deutschen Spitzenländern sich in integrierbaren Anteilen bewegt, zeigt deren Gesamtabschneiden. Länder mit multikulturell durchwirkten Klassen unter 70 Prozent autochthoner Besetzung haben durchweg unerfreulich abgeschnitten. Die vergleichweise guten Leistungen von Ausländerkindern in Bayern (immerhin 22 Prozent "Schüler mit Migrationshintergrund") legen nahe, daß die Parole "fordern und fördern" gut angekommen ist. Deutlich den jeweiligen Schnitt drücken jene Kinder mit zwei ausländischen Elternteilen. Bemerkenswert ist hierbei, daß bei dieser Gruppe in Deutschland geborene Schüler schlechter abschneiden als solche, die erst im Verlauf ihrer Kindheit nach Deutschland kamen: Ein schlechteres Zeugnis für die deutschen Integrationsanstrengungen - wenn man von Zuwanderungspolitik nicht reden will - ist kaum denkbar. Was durch die Rolle der Kinder mit fremder Muttersprache nicht erklärt werden kann - etwa das immer noch schlechte Abschneiden von Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg -, erledigt ein Blick auf die jeweils vorherrschenden Schulformen: Wie gehabt schneiden durch die Bank Länder mit einem selektiven, dreigliedrigem System besser ab als solche mit Einheitsschulen. Die nun wieder allerorts zitierten Stellungnahmen der Gesamtschulbefürworter liegen dort seit Jahren abrufbereit und immer wieder gern genommen in den Schubladen.

Ein Kind aus der Oberschicht, so die Klage, habe deutschlandweit eine vierfach, in Bayern gar eine rund siebenfach höhere Chance auf eine höhere Schulbildung. Die von linker und gewerkschaftlicher Seite vorbrachte Beschuldigung, das gegliederte Schulsystem würde sozialen Ungleichheiten folgen und sie verstärken - Konrad Adam nennt diese Rede von der "Chancenungleichheit" das "Mantra engagierter Schulreformer"-, geht nun in sein viertes Jahrzehnt. Mehrere ideologisch motivierte Gedankenfehler liegen hier vor: Zum einen wäre das Wort "Chance" abzuändern in "Wahrscheinlichkeit". Eine Chance ist so nicht berechenbar, die Gründe für je nach Herkunft divergierende Wahrscheinlichkeiten aber liegen auf der Hand - gehobene Bildung und bessere Erziehung in Elternhäusern mit Hochschulabschluß und die Sachlage auch genetischer Befähigungen, die im Intelligenzquotienten zutage tritt.

Letzteres ist hierzulande beinahe ein Tabu, dabei decken sich internationale IQ-Vergleiche mit dem Abschneiden bei Pisa. Das Märchen, Lehrer würden nach Stellung und Verdienst der Eltern benoten, ist lange schon obsolet: Sie dürfen - was noch in den Achtzigern per Eintrag im Klassenbuch üblich war - den Beruf der Eltern gar nicht erfragen.


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