© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/05 11. November 2005

Die Woche
Große Schritte unerwünscht
Fritz Schenk

Da muß den Verhandlungsgruppen der Großen Koalition wohl ein mächtiger Stein vom Herzen gefallen sein, als aus der EU-Kommission in Brüssel verlautete, daß wir uns mit der Einhaltung der Drei-Prozent-Verschuldungsgrenze beim Bundeshaushalt noch bis 2007 Zeit lassen können. Im Grunde eine logische Entscheidung. Denn angesichts der fortgeschrittenen Zeit ist kaum damit zu rechnen, daß der Bund bis Jahresende noch einen für nächstes Jahr gültigen Haushalt unter Dach und Fach bekommt. Da wird es 2007 noch viel nachzubessern geben.

Das ergibt sich allein daraus, daß bis jetzt noch niemand genau zu wissen scheint, mit welchen ungedeckten Summen überhaupt zu rechnen ist. Anfangs war von 35 Milliarden Euro die Rede, die eingespart werden müßten. Da war man von einem Einnahmedefizit von etwa 60 Milliarden Euro ausgegangen. Jetzt gab es Meldungen, das Defizit werde sogar noch um zehn bis fünfzehn Milliarden höher ausfallen, also müßten 35 bis 40 Milliarden Euro eingespart werden, um die Defizitmarge des Stabilitätspaktes einzuhalten. Wie auch immer: Davon, daß diese Summen allein durch Einsparungen aufzubringen sein werden, ist man längst abgekommen. Jetzt geht es vor allem darum, wo neue Einnahmequellen für Vater Staat erschlossen werden können.

Diese Suche geht jedoch bei beiden Parteien an die Grundsubstanz ihrer Verheißungen aus dem Wahlkampf, aber auch ihrer sonstigen Programmatik. Zu laut hatten ja doch beide die allseits "sozial gerechten" Lösungen - vor allem für die weniger Betuchten - vorgeschlagen. Und das sollte vor allem zu Steuer- und Abgabenerleichterungen führen, um so Voraussetzungen für neue Arbeitsplätze zu schaffen. Davon scheint nicht viel übrigzubleiben. Das Haushaltsdebakel und die Misere der gesetzlichen Sozialsysteme ist so gewaltig, daß die Streichung von Wohltaten und das Eintreiben zusätzlicher Steuergelder den Hauptteil der Koalitionsgespräche bilden. Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer - um wieviel Prozent auch immer - scheint so gut wie sicher. Das wäre das Zugeständnis der Sozialdemokraten an die Union. Dafür müßte die Union der SPD nachgeben mit der sogenannten "Reichensteuer". Ähnlich verhält es sich beim Ringen um die Heraufsetzung des Renten-Eintrittsalters oder bei der Lockerung des Kündigungsschutzes. Hier geht es zu wie beim Stricken: eins links, eins rechts.

Nimmt man alles in allem, dann lassen sich große Schritte, die ja hauptsächlich eine große Koalition rechtfertigen würden, nicht erkennen. Das wird auch deshalb erklärlich, weil ja vor allem die Sozialdemokraten ihren Parteitag in Karlsruhe schon seit dem Sommer auf die kommende Woche terminiert hatten. Da geht es dann nicht nur um die durch den überraschenden Rücktritt von SPD-Chef Franz Münteferings notwendig gewordenen Neubesetzung der Parteispitze mit Matthias Platzeck, sondern eben auch um das, was bis dahin als "Koalitionsvereinbarung" zwischen CDU und CDU auf der einen ,und der SPD auf der anderen Seite ausgekungelt worden ist.

Auch die Unionsparteien wollen das auf Sonderkongressen beschließen lassen. Schon um allzu harte Debatten und Flügelkämpfe zu vermeiden, scheinen sich die Koalitionäre eher allgemein zu halten. Das große Hickhack wird dann auf das erste gemeinsame Regierungsjahr vertagt. Das kann noch heiter werden.


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