© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/05 11. November 2005

Und plötzlich ist der Sonnenkönig verschwunden
Die schönsten Düfte der Welt liebkosten die Nasen: Impressionen von Gerhard Schröders Abschiedsvorstellung beim Verein der Auslandspresse
Bernd Rabehl

Nicht er hatte geladen. Der Verein der Auslandspresse (VAP) hatte das alte Telegraphenamt in der Französischen Straße gemietet. Dort fand am Donnerstag vergangener Woche der Jahresempfang des VPA statt. Mexikanische Geigen, Gitarren und eine Trompete empfingen die Gäste mit lustigen Klängen. Champagner wurde gereicht. An den vielen Tischen standen die zahlreichen auswärtigen Journalisten der Stadt. Sie hatten ihre schönen Frauen mitgebracht. Die neuesten Moden und teuersten Modelle wurden den Blicken feilgeboten. Die feinen Stoffe und Schnitte zeugten von Geschmack. Das vornehme Lächeln war dem Abend angepaßt. Die schönsten Düfte der Welt liebkosten die Nasen.

Laute Begrüßungen waren hörbar, und das Getuschel über den einen oder den anderen erreichte das Ohr. Trotzdem war eine Spannung spürbar, als wären die Gesichter nur Fassade oder als lauerten hinter dem vornehmen Stil die menschlichen Abgründe. Vorn am Pult warteten die Kameraleute und die Fotoreporter. Sie hantierten nervös an ihrem Gerät. Im Glas des Vorbaus spiegelten sich die vielen Lichter, Schatten und Gestalten. Die Sicherheitsmänner, die an vielen Stellen postiert waren, blickten aufgeregt in die Runde. An der Fassade des alten Amtes schien der gelbe Klinker die würdevolle Stunde zu atmen.

Plötzlich entstand Unruhe. Irgendwer durchschritt die Reihen. Die Gäste wichen zur Seite. Applaus brandete auf. Ein Blitzfeuerwerk wurde entzündet. Die Kameras schwenkten in seine Richtung. Ein Pulk Neugieriger umlagerte ihn, als er seinen Standort erreicht hatte. Er faltete die Hände über seinem Kopf und bewegte sie zum Gruß. Der Kanzler war gekommen. Sein Gesicht strahlte und lächelte freundlich. Sein roter Schlips unterstrich die gesunde Farbe des Gesichts. Er trug wie viele hier im Saal einen feinen blauen Anzug. Sein dichtes Haar hat die Farbe der Jugend bewahrt. Die sechs Jahrzehnte, die er längst überschritten hat, waren ihm nicht anzusehen. Seine Gesten strahlten Selbstbewußtsein und Gelassenheit aus. Seine Mimik kündete von Zufriedenheit. Er wirkte wie ein Sieger, der durch viele Schlachten gegangen war.

Gerhard Schröder war eingetroffen, um sich von der internationalen Presse feiern zu lassen. Die mexikanische Musik brach ab, und der offizielle Teil des Programms setzte ein.

Er sollte den VAP-Medienpreis 2005 entgegennehmen. Mit festen Schritten betrat er das Pult, nachdem er gelassen die Empfangsreden über sich hatte ergehen lassen. Wieder brandete Beifall auf. Ein Gefäß mit kubanischen Zigarren wurde ihm überreicht. Er schwenkte sie wie eine Trophäe. Eine feste und angenehme Stimme, geprüft, geschliffen und geübt von Tausenden Auftritten dieser Art, erfüllte den Raum. Er habe diesen Preis verdient, rief er fröhlich und übermütig ins Publikum, und ein wohlwollendes Echo kam zurück.

Er sei glücklich, jubelte Schröder, denn er habe im Leben zwei Berufe ausüben wollen, den des Anwalts und den des Kanzlers. Beides konnte er bis zur Neige auskosten. Jetzt erteile er noch freimütig und umsonst Ratschläge, in Kürze werde er als Anwalt dafür Geld verlangen. Schröder: "Ich bin ein wirklich sehr, sehr guter Anwalt." Wie ein Entertainer nahm er huldvoll den Applaus entgegen.

Er streckte die Zigarren nach oben, denn wieder durchblitzte eine Idee seine Gedanken. Er könne den Neid der amerikanischen Korrespondenten verstehen, die an solche Produkte von der Zuckerinsel nicht herankämen. Aber er als deutscher Kanzler könne sich diesen Tabak leisten, denn Deutschland sei eine Mittelmacht, nicht zu groß, wie die USA, aber auch kein kleines Land, und es erlaube sich eine unabhängige Politik gegenüber Kuba.

Jetzt hatte er sein Thema gefunden, denn er wollte über die deutsche Außenpolitik sprechen, die vor allem er über das Kanzleramt geformt hatte. Kein Wort über Fischer. Schröder war der Gestalter der deutsch-französischen Partnerschaft und des strategischen Bündnisses mit Rußland. Deutschland sei als das drittgrößte Exportland der Welt gezwungen, nicht nur gute Beziehungen zu Rußland, sondern auch zu China und den arabischen Ländern zu halten. Als Militär- und Rüstungsmacht habe Deutschland längst das ihm zustehende Mittelmaß erreicht und überschritten, erklärte Schröder. Deshalb strebe Deutschland auch einen Sitz im Sicherheitsrat der Uno an, diese Position stehe diesem Land nicht nur als drittgrößter Nettozahler an diese Organisation zu. Schröder war sehr ernst. Niemand lachte oder spendete Beifall. Eine tiefe Nachdenklichkeit senkte sich über den Saal.

Er kostete die Stille aus, als nähme er einen Zug von der Havanna. Die Beziehungen zu den USA blieben für Deutschland bedeutsam, und sie seien regelbar über die Nato. Dieses Militärbündnis garantiere, daß die USA als die letzte Großmacht in der Welt ihre Militärpolitik mit Europa abstimmen könnten, ohne zu Alleingängen gezwungen zu sein, die fatale Folgen haben könnten. Deutschland und Europa seien auf das Militärbündnis mit den USA angewiesen, aber sie seien keine "Blockflöten" und fühlten sich nicht als die Gefolgschaften dieser Großmacht. Einige der Journalisten klatschten, andere drehten sich um und feixten den Kollegen zu.

Plötzlich wechselte er das Thema. Die Türkei müsse nach Europa gelangen, denn sie biete eine Sicherheitsgarantie, daß der islamische Fundamentalismus sich nicht ausbreiten könne. Diese Militärmacht spalte die arabischen und asiatischen Mächte auf und besitze einen Machtapparat, der Vorbild für Europa sein konnte.

Dann kam er kurzzeitig aus dem Konzept und verriet er ein Geheimnis der europäischen Politik. Der Doppelstaat der Türkei, der eine Militärdiktatur verbinde mit einem inszenierten Parteienpluralismus, bilde den Orientierungspunkt für einen zukünftigen europäischen Großstaat, eine ähnliche Kombination von Staatsmacht einzugehen. Schröder blickte auf. Der massenhafte Zuzug türkischer Immigranten war ihm kein Problem. Er redete großzügig von gegenseitiger Toleranz. Allen im Saal waren die Bilder aus den französischen Vorstädten gegenwärtig, die an diesem Tage durch die Presse gegangen waren: Straßenschlachten, brennende Autos, verletzte Polizisten, Jugendliche, die ihren Machtanspruch anmeldeten.

Jetzt schwenkte Schröder auf die Innenpolitik um. Die Große Koalition sei notwendig, um die dringenden Reformen und Sparmaßnahmen anzupacken. Wenn fast 50 Milliarden Euro eingespart werden müssen und der Sozialstaat nicht ausgehebelt werden soll, müsse Einheit zwischen den großen Parteien bestehen. Er hätte es zwar lieber gesehen, wenn er eine derartige Koalition geführt hätte, aber er sei überzeugt, daß auch Angela Merkel eine gute Arbeit leisten würde. Er habe dafür gesorgt, daß in der Außenpolitik seine Zielsetzung durch seinen "Mann" gewahrt bleibe. Ähnlich würde ein sozialdemokratischer Arbeitsminister bemüht sein, soziale Härten zu vermeiden. Die Koalition trete eine sozialdemokratische Erbschaft an.

Seine Partei sei nur kurzfristig aus dem Tritt geraten, so Schröder. Es sei wieder alles im Lot, lachte er. Er habe die jungen Leute, die den kleinen Aufstand veranstaltet hatten, ins Gebet und in die Disziplin genommen und demonstriert, daß er noch das Sagen habe. Ironisch bemerkte er, daß mit Merkel und mit seinem mutmaßlichen Nachfolger als nächster SPD-Kanzlerkandidat, Matthias Platzeck, zwei Ostdeutsche den deutschen Tanker wieder flottkriegen mußten. Wer wollte, konnte zwischen diesen Worten vernehmen, daß die Dreckarbeit den Ossis überlassen werden sollte.

Er beteuerte noch, daß ihm die Presse fehlen werde. Er habe sich darauf eingestellt, täglich befragt und abgelichtet zu werden. Die Presse war sein Spiegel, Ideengeber und Muntermacher und zugleich Beweis der eigenen Größe. Sie hatte seinen "Hofstaat" gebildet, und es werde ihm schwerfallen, auf diese Aufmerksamkeit zu verzichten. Leichte Wehmut kam auf. Er schwenkte noch einmal die kubanischen Zigarren und trat dann hinein in den jetzt schon fröhlichen Beifall. Der Imperator genoß den Applaus. Jetzt bildeten die Journalisten der ausländischen Presse seinen Hof. Der Sonnenkönig ließ sich feiern.

Das Buffet wurde eröffnet. Die alten Männer und ihre schönen Frauen verloren ihren Anstand. Sie drängelten, um die besten Happen zu ergattern. Die gierigen Gesichter enthielten den Widerschein ihrer Interessen. Köche vom KaDeWe hatten die köstlichen Speisen der Welt angerichtet. Eine polnische Jazzband spielte auf, immer wieder unterbrochen von Harfenklängen und dem Seufzen einer Geige aus der Türkei. Ludwig XIV., der Sonnenkönig, durchschritt die Reihen, drückte Hände, lachte und war plötzlich verschwunden.

 

Prof. Bernd Rabehl, ehemals einer der engsten Vertrauten von Rudi Dutschke, lehrte später Soziologie an der Freien Universität Berlin.


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