© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/05 18. November 2005

Die Protestanten und die Grenzen der Toleranz
EKD-Synode: Die Evangelische Kirche wendet sich gegen die Relativierung des christlichen Wahrheitsanspruchs und die Vermischung der Religionen
Christian Vollradt

Vom 6. bis 10. November tagte in Berlin die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Das mit Laien und Theologen besetzte Kirchenparlament ist das höchste beschlußfassende Organ für 25,8 Millionen deutsche Protestanten. Zum diesjährigen Schwerpunktthema "Tolerant aus Glauben" verabschiedeten die 120 Synodalen eine zehn Thesen umfassende sogenannte "Kundgebung".

Darin wird der Pluralismus der Gesellschaft begrüßt, da er den Christen die Möglichkeit eröffne, frei ihren Glauben zu bekennen und für ihn zu werben. Für diese Freiheit zeigt sich die Kirche dankbar, nicht zuletzt weil es Christen in anderen Ländern schwerer haben. Andererseits nötige die Vielfalt die Kirche dazu, "deutlich zu zeigen, wofür sie steht", und auch die einzelnen Protestanten müßten daher "inmitten konkurrierender Lebensmodelle Profil zeigen".

Toleranz folge aus der aktiven Anerkennung der Würde eines jeden Menschen. Sie habe jedoch dort ihre Grenzen, wo Menschen oder Gruppierungen ihre Freiheit dazu mißbrauchten, sich selbst intolerant zu verhalten. Deshalb wendet sich auch die Evangelische Kirche gegen "jede politische und religiöse Praxis, die Menschen an Leib und Seele Schaden zufügt", und lehnt jede "religiös begründete Diskriminierung" ab. In diesem Zusammenhang nannte der Ratsvorsitzende der EKD, der Berliner Landesbischof Wolfgang Huber, religiös motivierte Selbstmordattentate einen Angriff auf die Ehre Gottes und die Würde des Menschen.

Ausdrücklich wendet sich die Kundgebung gegen einen Toleranzbegriff, der zu einer unzulässigen Vermischung verschiedener Religionen beziehungsweise Weltanschauungen oder zu einer Relativierung des christlichen Wahrheitsanspruchs führe: "Toleranz gedeiht nur im Zutrauen zur Wahrheit Gottes und nicht in ihrer Relativierung. Christinnen und Christen sind nicht tolerant, obwohl sie fest glauben, sondern weil sie fest glauben". Vielmehr folge christliche Toleranz aus der Toleranz des dreieinigen Gottes, der in Jesus Christus Mensch geworden sei, um die Menschen von Sünde und Schuld zu befreien.

Die Grenzen der Toleranz Gottes definieren zu wollen, sei menschliche Anmaßung, ebenso wie die Behauptung, im Besitz der alleinigen Wahrheit zu sein: "Wahrheit kommt im biblischen Sinne nur Gott und seinem Handeln zu". Toleranz auf dem festen Boden des Glaubens bedeute, "andere mit den Augen Gottes zu sehen". Dieser Begegnung mit dem Andersdenkenden müsse jedoch die "Gewißheit der eigenen Identität" vorausgehen, heißt es in dem Papier weiter, und die "Profilierung der Unterschiede gehört dazu". Denn "Toleranz schließt kritische Auseinandersetzung nicht aus, sondern bildet ihre Voraussetzung".

Neben dem Schwerpunktthema standen auch Beratungen über den Haushalt des kommenden Jahres, "mittelfristige Finanzperspektiven" sowie eine Strukturreform auf der Tagesordnung. Aufgrund sinkender Einnahmen muß die EKD bis zum Jahr 2009 ihre Zuschüsse an kirchliche Einrichtungen um elf Millionen Euro kürzen. Außerdem beschloß die Synode eine engere Zusammenarbeit mit den Konfessionsbünden. Durch neue Verträge mit der Vereinigten Evangelisch-lutherischen Kirche (VELKD) und der Union Evangelischer Kirchen (UEK) soll die Verwaltung gestrafft und die Handlungsfähigkeit des Protestantismus verbessert werden; der stellvertretende EKD-Ratsvorsitzende und thüringische Landesbischof Christof Kähler sprach in diesem Zusammenhang von einem "kirchengeschichtlichen Ausmaß" der Reform.

Eine Herausforderung für ihre Arbeit sieht die EKD in der Zuwendung an die Kirchenfernen. In Deutschland sind bis zu fünf Millionen Menschen zwar evangelisch getauft, gehören aber nicht der Kirche an. Ihnen wolle man, so Bischof Huber, wieder einen Zugang zu einer "Religiosität auf dem Niveau der Moderne" eröffnen. Doch die Kirchenferne betrifft auch diejenigen, die formal noch dazugehören. Im Durchschnitt besuchen nur etwa eine Million Gläubige sonntags die Gottesdienste, das sind lediglich vier Prozent der deutschen Protestanten.

Als wichtig für den Zugang zum christlichen Glauben erachtet die EKD den Religionsunterricht. Daher verabschiedete die Synode einen Beschluß über den Religionsunterricht in der gymnasialen Oberstufe, der nicht nur verpflichtendes Belegungsfach, sondern wählbares schriftliches und mündliches Abiturfach bleiben soll.

Am Rande der Tagung erinnerte die EKD auch an das 40jährige Jubiläum der sogenannten "Ost-Denkschrift" der Evangelischen Kirche, die der Ostpolitik Willy Brandts den Weg geebnet habe. In diesem Zusammenhang sprach sich Bischof Huber gegen das geplante Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin aus. Gemeinsam mit dem Polnischen Ökumenischen Rat lehnt die EKD dies ab, da weder die Absicht noch die Wirkung einer Relativierung der deutschen Schuld am Zweiten Weltkrieg erkennbar werden dürfe. Nur ein "Netzwerk des europäischen Erinnerns werde der Vertreibung gerecht", zitiert die Nachrichtenagentur idea den EKD-Ratsvorsitzenden.


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