© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/05 18. November 2005

Eine Debatte nimmt ihren Lauf
Sachsen: Jusos warnen vor Patriotismuspapier der Union / Zustimmung in Thüringen
Paul Leonhard

Das Thesenpapier der sächsischen Union zum Patriotismus (JF 44/05) sorgt weiter für Diskussionen. Sachsens Juso-Chef Holger Mann etwa warnte bereits vor einer "sinnentleerten und gefährlichen Debatte" und verwies darauf, daß "hymne-singende Grundschüler keine Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit sind". Der Generalsekretär der sächsischen CDU, Michael Kretschmer, wies diese Vorwürfe als "unsäglich" zurück: "Patriotismus geht nicht nur die CDU, sondern alle Parteien an." Das sei ein Thema für ganz Deutschland, findet auch der Fraktionschef der Union im Landtag, Fritz Hähle.

Mit der jetzt angeschobenen Debatte will die CDU auch von der wirtschaftlichen und politischen Misere im Land ablenken. Wer über Begriffe wie Vaterland, Heimat, Stolz oder Schicksalsgemeinschaft debattiert, wer über Deutschlandfahnen vor Schulen oder das Lernen der Nationalhymne an der Grundschule diskutiert, sinnt nicht über die Gemeinheiten und Fallstricke des Koalitionsvertrages mit seinen tiefgreifenden sozialen Einschnitten nach. So überrascht es wenig, daß der neugewählte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) die abgebrochene Debatte um eine "deutsche Leitkultur" wiederbeleben will und dafür viel Zustimmung erhält. Es ist auch kein Wunder, daß die Patriotismus-Debatte ihren Auslöser in Sachsen hat. Hier ist die Union für ihre verfehlte Reformpolitik bei den Landtagswahlen abgestraft worden und die NPD erstmals in den Landtag eingezogen. Gegen deren geschickte Nadelstiche will die CDU nun ihr Profil als "patriotische Volkspartei" schärfen.

Zweifel an Bindekraft der Europäischen Union

"Wir lassen uns wichtige Begriffe nicht wegnehmen", sagt Kretschmer. Er fühle sich als erstes als Deutscher, dann als Sachse beziehungsweise Schlesier, dann als Görlitzer, und im übrigen sei er froh, in der EU zu leben. Die Europäische Union habe zu viele Mitglieder, um dieselbe Bindekraft zu entwickeln wie eine Nation. Weiteres Ziel ist es, die "Deutungsdominanz" der "Achtundsechziger" in Schule, Medien und Politik zu brechen und eine "geistige Wende" einzuleiten.

Um nicht vorzeitig Schiffbruch zu erleiden, haben die Christdemokraten die in dem Thesenpapier enthaltenen Begriffe sorgfältig von Historikern, Politikwissenschaftlern und Kirchenvertretern prüfen lassen. Bei einem Positionspapier der Jungen Union zum Patriotismus (JF 18/05) hatte Fraktionschef Hähle noch zurückrudern müssen: "Ob jeder Begriff darin glücklich gewählt ist, das ist durchaus noch offen."

Die Thüringer CDU hat inzwischen den Patriotismus-Beschluß der Sachsen-Union begrüßt. Er sei ein "substantieller Beitrag zum Selbstverständnis der Unionsparteien", sagte CDU-Generalsekretär Mike Mohring unter Verweis auf die Debatte über die Leitkultur. Die sächsischen Thesen verdeutlichten die "herausragende politische Bedeutung" des Patriotismusfür ein demokratisches Gemeinwesen. Und nicht zuletzt sei der Patriotismusgedanke ein "zentraler Baustein in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus".

Kretschmer versucht derweil den Sozialdemokraten eine goldene Brücke zu bauen, indem er bei jeder passenden Gelegenheit den früheren Bundespräsidenten Johannes Rau (SPD) zitiert: "Ein Patriot ist jemand, der sein Vaterland liebt. Ein Nationalist ist jemand, der die Vaterländer der anderen verachtet. Ich möchte ein guter deutscher Patriot sein. Ich glaube, wenn wir uns darauf verständigen, können wir auch unsere ganze Geschichte annehmen."


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen