© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/05 18. November 2005

Schulkarrieren unter der Lupe
Bildungspolitik: Kinder von Ausländern als Risikogruppe / Detailstudie in Baden-Württemberg
Ellen Kositza

Die jüngst veröffentlichten Pisa-Daten (JF 46/05) haben ein Faktum als meßbar und somit statistisch darstellbar gezeigt, das Schülern, Eltern und Lehrern längst bekannt wahr: Ausländerkinder stellen in Sachen Bildung eine Risikogruppe dar. Sie erlangen durchschnittlich seltener das Abitur und machen auf Sonder- und Hauptschulen einen überproportionalen Anteil aus. Die Pisa-Studie unterschied bei der Auswertung der Testklassen zusätzlich zwischen Migranten mit einem oder beiden Elternteilen ausländischer Herkunft sowie solchen, die hier oder in ihrem Herkunftsland geboren sind. Sowohl diejenigen mit Vater und Mutter fremder Herkunft als auch andererseits - was für etliche Kommentatoren überraschend war - die in Deutschland geborenen Migrantenkinder schnitten signifikant schlechter ab.

In den Statistischen Monatsheften Baden-Württemberg (9/2005) nimmt Erich Stutzer, Leiter des Referats Sozialwissenschaftliche Analyse und Familienforschung, einen tieferen Blick in die Schulkarrieren fremdländischer Schüler vor. Diese Detailanalyse eines einzelnen Bundeslandes kann als beispielhaft angesehen werden, da der Ausländeranteil in Baden-Württemberg im Vergleich mit den anderen Bundesländern ein gewisses Mittelmaß darstellt.

Bei der statistischen Erhebung hatten die Pisa-Forscher gegenüber den Statistikern in Bund und Ländern allerdings einen entscheidenden Vorteil: Während Pisa unabhängig von der Staatsbürgerschaft die "Migrationsgeschichte" der Getesteten berücksichtigte (in Baden Württemberg rund 29 Prozent der Schüler), operieren die deutschen Behörden nur mit Staatsangehörigkeiten: gemäß dieser Vorgabe ist hier mit lediglich 13 Prozent ausländischer Schüler zu rechnen.

Wie sehr eine solche zahlenmäßige Kluft soziologische Analysen wie konkretes, zielgerichtetes Handeln erschwert, wird zur Zeit anhand der Krawallnächte in Frankreich deutlich - die Mehrzahl der randalierenden Jugendlichen sind, obgleich durchweg maghrebinischer Herkunft, nurmehr als "Franzosen" erfaßbar. Mit dem in Deutschland nun geltenden ius solis wird auch hier mit jedem Geburtsjahrgang der offizielle - der überhaupt faßbare - Ausländeranteil geringer werden; Eingebürgerte und Aussiedler faßt die amtliche Statistik ohnehin als Deutsche. Demnach zählt Baden-Württemberg derzeit rund 160.000 Schüler ohne deutschen Paß. Diese Kinder stellen im Ländle ein Viertel der Sonderschulklientel dar, 60 Prozent besuchen die Hauptschule und sind damit in diesen beiden Schulformen massiv überproportional vertreten. Während unter den Schulabgängen 2004 22 Prozent der deutschen Schüler mit Abitur abschlossen, absolvierten nur fünf Prozent der Migranten das Gymnasium.

Diplom-Volkswirt Stutzer gliedert nach zahlenmäßiger Sachlage die ausländischen Schüler in drei Gruppen: Am stärksten ist das Bildungsgefälle bei den serbischen und montenegrinischen Kindern, ähnlich stark auf Haupt- und Sonderschulen vertreten sind Türken, Italiener und Portugiesen.

Diese Nationalitäten seien häufig einer klassischen Arbeiterschicht zuzurechnen, die durch entsprechendes soziales Gefüge auch in der dritten Generation noch mit Sprachbarrieren zu kämpfen hat. Anders dürfte sich die Sachlage bei den Schülern aus Serbien und Montenegro darstellen, schreibt Stutzer, der in seinem Deutungsversuch eventuelle Kriegstraumata geltend macht. Immerhin 50 Prozent der griechischen und rund 60 Prozent der spanischen, kroatischen und slowenischen Schüler besuchen aktuell entweder Realschule oder Gymnasium - unter Deutschen sind es 78 Prozent. In einer dritten - der kleinsten - Gruppe werden jene Schüler zusammengefaßt, die aus anderen als den vorgenannten EU-Staaten stammen. Stutzer rechnet deren Elternhaus zu einer "transnational orientierten europäischen Erwerbselite". Bei diesen Kindern übersteigt die Prozentzahl der Gymnasiasten die der deutschen (51 zu 45 Prozent), auch der Sonderschulanteil ist geringer. Insgesamt ist hier einmal mehr die Datenlage das eine und deren Auswertung das andere.

Wer Deutschland primär als "Aufnahmegesellschaft" definiert und die gleichberechtigte Teilhabe an Bildungsgütern und -institutionen nicht am Start, sondern am Ziel mißt, wird gewiß zu anderen Schlüssen kommen als jemand, der unter Bildung mehr versteht als Faktenwissen und die (erleichterte) Gewährleistung eines Abschlusses.


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