© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/05 18. November 2005

Die Woche
Verfassung suspendiert
Fritz Schenk

Die neue Bundesregierung beginnt ihre Tätigkeit ganz bewußt mit einem Bruch der Verfassung. Der Bundeshaushalt für das Jahr 2006 wird eine höhere Neuverschuldung aufweisen als die Summe der vorgesehenen Investitionen. Das ist ein eindeutiger Verstoß gegen Artikel 115 des Grundgesetzes. Und die Regierung fügt diesem ersten sogleich einen zweiten Verfassungsbruch hinzu. Dieser Artikel schreibt nämlich ebenfalls vor, daß eine solche Schuldenaufnahme nur zulässig ist "zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts".

So ist das eben mit erdrückenden (verfassungsändernden) Mehrheiten in Parlamenten, daß sich die absolut Herrschenden den Mühen rechtsstaatlicher Begründungen ihres Handelns erst gar nicht mehr unterziehen. Sie "machen" halt einfach, was sie für richtig halten. Und wie mit dem Trick Schröders via fingierter Vertrauensfrage und vorgezogenen Wahlen wird das Bundesverfassungsgericht ganz sicher auch das durchwinken. Das ist nicht das erste Mal.

Schon Bundeskanzler Helmut Kohl hatte den Vollzug der Einheit mit einer Lüge und dem darauf fußenden Verfassungsbruch begonnen. Gemeint ist das angebliche Junktim von Sowjetunion und DDR, die Einheit komme nur zustande, wenn von der kommunistischen Raubpolitik nichts zurückgenommen werde. So wurden denn die Räuber rehabilitiert, während an den Beraubten, Verfolgten, Ermordeten und Entrechteten der Ruch von "Naziaktivisten und Kriegsverbrechern" haften geblieben ist, unter den sie von den Konfiskatoren gestellt worden waren. Das hat mit Billigung des Bundesverfassungsgerichts die Eigentumsgarantie des Artikels 14 Grundgesetz beschädigt, was möglich war, weil aus ideologisch-sozialistischer Verbrämung des Begriffs "Volkseigentum" in dieser Frage bereits eine "Große Koalition" der Apostel von "sozialer Gerechtigkeit" bestand.

Verletzt wurden die Artikel 1 (Würde des Menschen), 5 (Meinungsfreiheit) und 38 (Unabhängigkeit des Abgeordneten) des Grundgesetzes durch das Einknicken der Union vor dem neuen Ketzereibegriff "Rechts" gegen Abgeordnete wie Philipp Jenninger, Steffen Heitmann, Jürgen Möllemann, Martin Hohmann oder Wissenschaftler und Schriftsteller wie Ernst Nolte und Martin Walser. Weil diese von der neuen Meinungspolizei der Political Correctness unter das Verdikt des Antisemitismus und der Relativierung des Holocaust gestellt worden waren, unternahm die Union nicht mal den Versuch der Zurückweisung oder Richtigstellung, sondern fügte sich widerstandslos dem Zeitgeist und ließ fallen, wer in die Schußlinie solcher Diffamierungen geraten war.

Nun sitzt die Union offiziell - und sogar als Führerin - in dieser Großen Koalition der Gutmenschen, politisch Korrekten, Kämpfer gegen "Rechts" und Verkünder von sozialer Gerechtigkeit. Und schon werden alle Zweifler an den Verheißungen der Koalitionsvereinbarung und Mahner vor noch weiterer Überbordung des deutschen Verwaltungsstaates als "Miesmacher" hingestellt. Auch das hatten wir schon. Und das geschah in Zeiten, in denen Parteitage der Herrschenden in Einmütigkeit, ohne Meckerer und "Miesmacher", mit stehend dargebrachten Ovationen für ihre Führer und mit fast hundertprozentigen Zustimmungen zu Programmen und Personalien abliefen. Doch wohin das geführt hatte, wird man wohl noch fragen dürfen.


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