© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/05 18. November 2005

"Das sind Banditen, Gesindel, ich bleibe dabei"
Frankreich: Bürgerliche und rechte Politiker nutzen die Unruhen zur Profilierung / Linke kritisieren "populistische" Stimmungsmache
Jean-Marie Dumont

Nach dreiwöchigen Unruhen in den französischen Vorstädten herrscht langsam wieder relati-ve Ruhe. In der Nacht von Sonntag bis letzten Montag wurden "nur" 286 Autos in Brand gesteckt, in der Nacht von Montag zu Dienstag waren es "nur" 162. Vor einer Woche noch waren es über 1.000 pro Tag - in der Nacht zum 7. November sogar 1.408.

Trotz des gewaltigen Umfangs der Ausschreitungen kam es zu relativ wenig schweren Angriffen, auch wenn Dutzende von Polizisten oder Feuerwehrleuten verletzt wurden - einmal sogar mit Jagdgewehren. Etwa 2.650 Personen wurden in Polizeigewahrsam genommen, über 500 wurden längerfristig inhaftiert. Insgesamt sind in etwa 300 französischen Gemeinden 8.600 Autos, zahlreiche öffentliche Gebäude, Busse, Kindergärten, Privatanlagen oder Sporthallen zerstört worden.

Laut der französischen Föderation der Versicherungsgesellschaften könnten die Kosten der Krawalle 200 Millionen Euro betragen, darunter 20 Millionen für die abgebrannten Autos. Allein im Departement Seine-Saint-Denis, wo die Unruhen vor drei Wochen nach dem Unfalltod von zwei Jugendlichen begonnen hatten (JF 45/05), betrügen die Schäden etwa 50 Millionen Euro, berichtete der Bürgermeister von Le Raincy, Eric Raoult, von der Regierungspartei UMP. In der Summe enthalten sind auch 27 in Brand gesteckte Schulen, die wiederaufgebaut werden müssen. Der Präsident der EU-Kommission, José Manuel Durão Barroso, hat am 13. November vorgeschlagen, 50 Millionen Euro an Frankreich zu geben, um den Wiederaufbau der zerstörten Gebäude zu unterstützen.

Die französische Regierung hat beschlossen, den letzte Woche verkündeten Ausnahmezustand per Gesetz um drei Monate zu verlängern. Der Ausnahmezustand, der auf einem während des Algerien-Krieges 1955 verabschiedeten Gesetz beruht, erleichtert Haussuchungen und erlaubt den Präfekten von 25 besonders von den Unruhen betroffenen Departements, eine Ausgangssperre zu verhängen. Die Grünen sind gegen diese Maßnahmen, die Alt-Kommunisten (PCF) haben es als ein "stigmatisierendes, gewalttätiges und nutzloses" Gesetz verurteilt. Die gemäßigte Linke hat ihre "extreme Zurückhaltung" geäußert, so der Wortführer der oppositionellen Sozialisten (PS) Julien Dray, als der Präsident der UMP-Regierungsfraktion in der Nationalversammlung, Bernard Accoyer, die Verlängerung des Ausnahmezustandes als "realistisch" bezeichnet hatte.

Und je mehr die Unruhen abflauen, desto mehr wird die Frage der Banlieues zu einer willkommenen Gelegenheit für die verschiedenen Parteien, sich zu profilieren. Am Montagabend meldete sich endlich auch Staatspräsident Jacques Chirac zu Wort. In seiner Rede an die Nation sprach er mit wohlgewählten Worten vom "tiefen Unbehagen", das die französische Gesellschaft berühre. Er kündigte die Schaffung eines neuen freiwilligen Zivildienstes für Jugendliche aus "schwierigen" Vierteln an.

Mitglieder der UMP sind sich indessen bewußt, daß von ihrer Reaktion auf die Krise viele Stimmen bei den nächsten Präsidentschaftswahlen im Jahre 2007 abhängen. So hat Innenminister und UMP-Chef Nicolas Sarkozy seine Äußerungen über das racaille ("Gesindel") - das Wort, das er verwendet hat, um die Randalierer zu bezeichnen, und das einen politischen Streit ausgelöst hat - bei einer der Krise in den Ban-lieues gewidmeten Fernsehsendung wiederholt: "Das sind Banditen, Gesindel, ich bleibe dabei", so Sarkozy, der außerdem angekündigt hat, die ausländischen Randalierer würden ausgewiesen, auch wenn sie eine gültige Aufenthaltserlaubnis besäßen. Sarkozy weiß, daß seine ungeschminkte Ausdrucksweise, auch wenn sie von der Linken als "rein populistisch" abgetan wird, ihm zusätzliche Stimmen von "rechten Ordnungsfanatikern" oder sogar von einigen enttäuschten Linken, etwa Arbeitern oder von der Arbeitslosigkeit bedrohten kleinen Leuten, bringen kann.

Das haben auch der Chef des rechten Front National (FN), Jean-Marie Le Pen, und der Chef der rechtskonservativen Bewegung Mouvement pour la France (MPF), Philippe de Villiers, erkannt. Sie werfen der bürgerlichen Regierung vor, ihnen ihre Argumente und Vorschläge zu "stehlen". An dem Montag, an dem Chirac seine Rede im Fernsehen hielt, hatte auch Le Pen vor dem Sitz des Staatsrates, am Pariser Palais-Royal-Platz, 1.500 seiner Anhänger versammelt. Unter dem Motto "Einwanderung, Unruhen, Explosion der Vorstädte: Jetzt reicht's!" warf er den Etablierten vor, die jetzige Krise sei das Ergebnis einer sinnlosen, seit Jahrzehnten von den regierenden Parteien betriebenen und vom FN schon lange bekämpften Einwanderungspolitik.

Einige Tage vor Le Pen hatte schon der EU-Parlamentarier de Villiers das Thema banlieues und Einwanderung mit drastischen Worten aufgegriffen. Das hatte zur Folge, daß der FN dem adligen "Monarchisten" aus der ländlichen Vendée vorwirft, in seinem ureigenen Revier zu wildern.

Letzte Woche hielt der MPF-Chef eine Rede in der Nähe der Pariser Nationalversammlung, wo seine Anhänger T-Shirts mit dem Motto "Frankreich liebe ich oder verlasse ich" trugen. De Villiers kritisierte speziell ein Gesetz von 1974 über den Familiennachzug von Ausländern, das letztlich die massive Einwanderung erst ermöglicht habe - Initiator des Gesetzes war der damalige Premier und heutige Präsident Chirac. De Villiers forderte "Null-Einwanderung" statt der vom Sarkozy gepriesenen "Null-Toleranz".

De Villiers und Le Pen haben schon ihre Kandidatur für die Präsidentenwahl 2007 angemeldet. Sarkozy scheint hierbei noch unsicher zu sein, da Premier (und Chirac-Favorit) Dominique de Villepin inzwischen ebenfalls einen guten Ruf bei den Wählern genießt.

Foto: Minister Sarkozy mit Polizisten: De Villiers und Le Pen bei der Präsidentschaftswahl 2007 kandidieren


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