© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/05 25. November 2005

Die Altlasten des Deichgrafen
SPD: Durchwachsene Bilanz für Platzeck als Minister und Bürgermeister / Linkes "Wohnprojekt" statt Arbeitsplätze in Potsdam
Steffen Königer

Das Ergebnis sprach Bände: Als sehnten sich die Genossen der SPD nach soviel Streit nach Einigkeit, wählten sie in der vergangenen Woche auf dem SPD-Parteitag in Karlsruhe Matthias Platzeck mit 99,4 Prozent zum Nachfolger des nur kurz amtierenden Parteivorsitzenden Franz Müntefering. So viele Stimmen bekam kaum einer vor ihm. Doch woran liegt das? Vielleicht daran, daß der 51 Jahre alte Vater von drei Töchtern sich nie in die erste Reihe gedrängt hatte? Nachdem das Amt des Parteivorsitzenden überraschend vakant geworden war, hatte er scheinbar beiläufig in die Kameras gehaucht: Er habe sich vor Verantwortung noch nie gedrückt.

Auffällig an dem SPD-Politiker mit dem "ewigen Dreitagebart" ist seine Unauffälligkeit. In dieser Beziehung gleicht er der ebenfalls aus der ehemaligen DDR stammenden Angela Merkel. Die Lebensläufe des SPD-Vorsitzenden und der Bundeskanzlerin könnte man auch direkt nebeneinanderstellen: Unterscheiden würden sie sich vor allem hinsichtlich des Wehrdienstes.

Der Ur-Brandenburger Platzeck war schon immer in Potsdam beheimatet. Er besuchte dort die Schule, in Kleinmachnow machte er Abitur, um dann 1974 seinen Grundwehrdienst in der Nationalen Volksarmee abzuleisten. Das vierjährige Studium für biomedizinische Kybernetik schloß er 1979 mit einem Diplom ab und arbeitete dann für mehrere Jahre in Chemnitz und Bad Freienwalde, bevor er nach Potsdam zurückkehrte.

Als Minister in der Modrow-Regierung

Erst 1988 begann Platzeck sich politisch zu betätigen und gründete die AG Pfingstberg, die zum Ziel hatte, das heute aufwendig restaurierte Belvedere inmitten der berühmten Potsdamer Schlösserlandschaft vor dem sicheren Verfall zu retten. Damals war ein Engagement dieser Art ein zumindest gewagtes Unternehmen, befand sich doch der Pfingstberg auf dem Gebiet der sowjetischen Besatzungstruppen. Auch die Potsdamer Arbeitsgemeinschaft für Umweltschutz und Stadtgestaltung (ARGUS) war sich einer Beteiligung des damals noch ziemlich grünbewegten Platzeck sicher.

Als Mitbegründer der Grünen Liga nahm er in der Wendezeit an den Verhandlungen des zentralen Runden Tisches der DDR teil. Bei Hans Modrow, dem letzten SED-Ministerpräsidenten der DDR, saß er als Minister ohne Geschäftsbereich am Kabinettstisch. Im November 1990 wurde er zum Landesminister für Umwelt, Naturschutz und Raumordnung von Brandenburg berufen. Zum Bruch mit den Grünen kam es anscheinend, als sich das DDR-Gewächs Bündnis 90 1993 mit den westdeutschen Grünen vereinigte. Zwei Jahre später trat Platzeck der SPD bei.

Wenn den neuen Hoffnungsträger der Sozialdemokraten eines auszeichnete, dann sein Glück, zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle zu sein. Auf seiner Netzseite sieht man ihn nicht nur als besorgten Minister auf dem Deich nach der Oderflut im August 1997 stehen, er behauptet auch selbst, sich als "Deichgraf" große Verdienste bei der Bewältigung dieser Naturkatastrophe erworben zu haben. Dieses Engagement, insbesondere Platzecks völlig übermüdete Auftritte bei Pressekonferenzen, bescherte ihm deutschlandweit Bekanntheit. Dabei, so heißt es in seinem Umfeld, litt er lediglich an einer Sommergrippe und war daher ziemlich geschwächt.

Gerade rechtzeitig lehnte er vor der Bundestagswahl 1998 die Offerten von Kanzlerkandidat Gerhard Schröder ab, in dessen Schattenkabinett zu kommen, denn gegen den späteren Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) war kein Kraut gewachsen.

Dafür kandidierte er im selben Jahr als Oberbürgermeister in Potsdam. Nachdem der überforderte SPD-Amtsträger Horst Gramlich nach Bauaffären von seiner Partei im Mai 1998 "gegangen wurde", übernahm im September der allseits beliebte Platzeck (gewählt mit 63,5 Prozent) das Ruder, und fortan geschah - nichts.

Im politischen Tagesgeschäft, so hieß es damals, könne Platzeck mit "Bürgerinitiativlern genauso wie mit Investoren". Doch Platzeck ist es wohl zu verdanken, daß Investoren in der Landeshauptstadt zu kurz kamen und wirkliche Sanierungsprojekte wie die fehlende Stadtmitte verschleppt wurden. Da die Bündnisgrünen in Potsdam in der Wählergunst mit um die zehn Prozent fast mit der CDU gleichauf lagen, gönnte Platzeck seiner Klientel etwas. Eine für 119 Millionen D-Mark geplante Hotelanlage mit 200 Arbeitsplätzen in der Zeppelinallee wurde 2001 zugunsten eines "Wohnprojektes" gekippt. Im Klartext: Hausbesetzer statt Arbeitsplätze. Möglich wurde dies mit dem Votum des Oberbürgermeisters und einer linken Stadtverordnetenversammlung. Bis zum heutigen Tag macht der Verein Utopia e. V. von sich reden: ein "Verdienst" des jetzigen SPD-Parteichefs.

Politik der ruhigen Hand in Brandenburg

Noch vor der Bundestagswahl 2002 beerbte dann der "Kronprinz" Platzeck den "roten Adler" Manfred Stolpe und übernahm den Posten als Ministerpräsident. Seither zeichnete auch die brandenburgische Landespolitik eine Politik der ruhigen Hand aus. Schon der erste Auftritt im Fernsehen war vielsagend, als Platzeck in der Dienstlimousine von Stolpe in der Staatskanzlei vorfuhr, die Tür aufflog und die Unterlagen sich auf dem Bürgersteig verteilten. Häme war ihm gewiß, als er die "Arbeit liegenließ", wie ein Fernsehkommentar anmerkte. Auch nach der Landtagswahl 2004 gab es keinen Neuaufbruch, keinen "Schnitt", alles blieb beim alten.

So scheint vorprogrammiert, daß Platzecks Arbeit als Bundesvorsitzender nach dem Leitsatz läuft: "Wer nichts macht, kann auch nichts falsch machen." Und bei seinem Glück, ohne viel eigenes Zutun als einer der beliebtesten Politiker die Karriereleiter nach oben zu fallen, können wir ihn womöglich in absehbarer Zeit als Bundeskanzler begrüßen.

Foto: Platzecks Kampf gegen die Oderflut (1997): Arbeit liegenlassen


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