© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/05 25. November 2005

"Wir haben gesiegt"
Italien: Verfassungsreform verabschiedet / Mehr Föderalismus und auch mehr Macht für den Ministerpräsidenten / Erfolg für Umberto Bossis Lega Nord
Paola Bernardi

Sichtlich gerührt verfolgte Umberto Bossi, Chef der Regierungspartei Lega Nord, die Verabschiedung des Föderalismusgesetzes. Es war sein erster offizieller Auftritt im Senat in Rom nach seinem schweren Schlaganfall im März 2004. Begleitet wurde der 64jährige von seiner Frau Manuela und den Kindern. Gekleidet im Grün der Lega, ballte der einst wortgewaltige lombardische Volkstribun die rechte Faust und rief seinen Getreuen zu: "Wir haben gesiegt".

Die Lega, autonomistisch-rechte Bürgerpartei aus dem Norden, sah sich immer als Gegengewicht zur zentralen Regierungsverwaltung in Rom: Der reiche Norden Italiens ("Padanien") rebellierte gegen "die in Rom". Weil der versprochene Föderalismus auf sich warten ließ, war die Lust an der Sezession Padaniens zeitweise groß. Als sich 1989 die Lega Lombarda mit anderen Gruppen zur Lega Nord vereinte, wurde als oberstes Ziel der Bewegung "die friedliche Umwandlung des italienischen Staates auf dem Wege demokratischer Wahlen in einen modernen Bundesstaat" genannt.

Man versuchte von Staats wegen diesem Anliegen Rechnung zu tragen, indem Sonderstatuten für einzelne Regionen geschaffen wurden, wie für die Region Trient-Südtirol (Trentino-Alto Adige). Doch die Bewohner dieser zumeist wirtschaftlich reichen Regionen fühlten sich weiterhin vernachlässigt. Besonders im Einzugsbereich des (fast vergötterten) Flusses Po und auch im weiteren Venetien (Veneto) - wo die Lega bis zu ein Viertel der Wähler hinter sich weiß -, hielt die Unzufriedenheit über die römische Bürokratie und Steuerlast an.

Richtlinienkompetenz wie der deutsche Bundeskanzler

Über das Subsidiaritätsprinzip verlangte die Lega Nord zwar keine Loslösung aus dem italienischen Staatsverband, doch die Übernahme der eigenen Aufgaben wie zum Beispiel das Gesundheitswesen und die Schulpolitik. Nun hat nach langjährigem Tauziehen das italienische Parlament die umfangreiche und bereits umstrittene Verfassungsreform endgültig verabschiedet. Diese soll mehr Föderalismus schaffen - und im Gegenzug dem Ministerpräsidenten mehr Vollmacht erteilen. Ob dies allerdings jemals Realität wird, ist unklar.

Denn voraussichtlich wird im Juni 2006 ein Referendum stattfinden, weil das neue Verfassungsgesetz nicht mit der vorgeschriebenen Zweidrittelmehrheit verabschiedet wurde, die eine solche Volksbefragung verhindert. Diese Reform, die unter dem Begriff "Devolution" vor mehr als zwei Jahren in Angriff genommen wurde, betrifft Artikel 55 der Verfassung. Es gibt der Republik Italien wesentliche föderalistische Elemente und erweitert vor allem die Machtbefugnisse des Ministerpräsidenten. Er soll, ähnlich wie der deutsche Bundeskanzler, die Richtlinienkompetenz erhalten. So benötigt der Premier künftig nicht mehr wie bisher das Vertrauen des Parlamentes zu seiner Wahl; sondern als gewählt gilt der Spitzenkandidat der siegreichen, mit Mehrheit ausgestatteten Koalition.

Weiter kann der Regierungschef künftig einzelne Minister entlassen (bisher fiel dies in das Aufgabengebiet des Staatspräsidenten). Außerdem kann er die Auflösung des Parlaments einfordern, bisher oblag diese Entscheidung auch dem Staatspräsidenten. Die zwanzig Regionen erhalten in der Reform die Gesetzgebungsbefugnisse in den Bereichen des Gesundheits- und Bildungswesens sowie der Regional- und Kommunalpolizei. Der Senat, das erste Haus des Parlaments, verringert die Zahl seiner Mitglieder von 315 auf 252, verliert seine Funktion als mit der Abgeordnetenkammer gleichrangiges Gesetzgebungsorgan und wird zum Bundessenat. Die direkt gewählten Senatoren vertreten dann die Regionen. Die Abgeordnetenkammer ist hingegen zuständig für die Gesetze, die in der Hoheit des Nationalstaates liegen.

Obwohl diese Verfassungsreform weit weniger radikal ausgefallen ist, als es sich einst Bossi und seine Mitstreiter gewünscht haben, ist die Polemik sofort wild entbrannt. Die Mitte-Links-Opposition läßt kein gutes Haar an dieser Reform. Sie werde das Land spalten, die Kluft zwischen dem reichen Norden und dem armen Süden würde noch weiter auseinanderklaffen, heißt es. Oppositionsführer Romano Prodi, Ex-EU-Kommissionschef, warnte sogar vor der "Vorbereitung einer Diktatur".

Dabei hatte die Linke 2000, im letzten Jahr der Regierung des Ex-Kommunisten Massimo D'Alema, selber ein Föderalismusgesetz durchgepaukt - das sich aber als Flop entpuppte und beim Verfassungsgericht zu einer Flut von Kompetenzstreitigkeiten zwischen dem Zentralstaat und den Regionen geführt hatte. Bedenken äußern vor allem auch viele Staatsrechtler. Sie befürchten eine Verschärfung der Kompetenzstreitigkeiten mit institutionellem Stau. Sie sehen die Gefahr heraufziehen, daß die regionale Bürokratie ausgebaut wird.

Auch die katholische Kirche in Person von Kardinal Camillo Ruini, Vorsitzender der italienischen Bischofskonferenz, übt Kritik an der Verfassungsreform, plädiert für die Einheit des Staates und erinnert an das Gebot der sozialen Solidarität. Gerade in den Übergangzeiten (Vorwahlzeit), wo ein Führungsvakuum vorherrscht, hat die Kirche in jüngster Zeit immer wieder ihre Stimme erhoben: So scheiterte das Referendum zur künstlichen Befruchtung, als sie den italienischen Wählern die Empfehlung gab, nicht an die Urne zu gehen (JF 25/05).

Derzeit ist in Italien eine heftige Diskussion über die sogenannte Abtreibungspille "RU 486" entbrannt, die von der Kirche rigoros abgelehnt wird. Linke Kreise sehen mit Mißtrauen diese "klerikalen Restaurierungsversuche" zu aktuellen Themen jenseits der christlichen Ethik. Manche wollen darin bereits eine Verletzung des Konkordats entdecken.


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