© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/05 25. November 2005

Weltniveau
Achsendenken: Kanzler Schröder und sein Abschieds-Zapfenstreich von Hannover
Dieter Stein

Mancher wundert sich, in welch dichter Folge in den letzten Wochen der ehrwürdige Große Zapfenstreich der preußisch-deutschen Armee zur besten Sendezeit die Zuschauer beglückte. Über sieben Millionen Deutsche verfolgten am vergangenen Samstag die Übertragung dieses militärischen Zeremoniells, mit dem sich Bundeskanzler Gerhard Schröder auf dem Marktplatz von Hannover verabschieden ließ.

Der Kundige wundert sich nicht, weshalb ein so aufgeklärter Staatsmann, der bei seiner Vereidigung mutig auf die Formel "So wahr mir Gott helfe" verzichtet hat, dieser kritische Zeitgenossen mit ihren Fackeln reaktionär anmutenden Inszenierung treu blieb. Schröder weiß um die Historie des Großen Zapfenstreichs. Schließlich war Friedrich Wilhelm III. von Preußen am Abend nach der Schlacht von Groß Görschen vom russischen Zapfenstreich derart beeindruckt, daß er ihn später für seine Armee übernahm. Damit enthält das Zeremoniell des Großen Zapfenstreiches, dessen Kern zwar das feierliche Gebet und damit die Gottesverehrung bildet, aus Sicht Schröders auch heute noch zwingend einen Fingerzeig auf die in seiner Regentschaft gestärkte deutsch-russische Achse, die somit an den Geist der Befreiungskriege von 1813 anknüpfen soll. Nur daß der Feind heute nicht Napoleon, sondern George W. Bush heißt. Da sage noch einer, dieses Land habe kein Geschichtsbewußtsein!

Daß der Kanzler nun trefflich das Alte mit dem Neuen zu verbinden und Trennendes wieder miteinander zu versöhnen vermochte, signalisierte er durch seine mit Fingerspitzengefühl ausgewählten Musikstücke, die durch den Musikzug der Bundeswehr taktvoll vor dem (russischen!) Militärgebet intoniert wurden. Brechts "Mackie Messer", Gershwins "Summertime" und Frank Sinatras "My Way" zogen fulminant die Bilanz der Ära Schröder: Weltmacht mit Weltniveau.


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