© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/05 25. November 2005

Die Angst der Emanzen vor der Biologie
"Glücksfall Geburtenrückgang": Die feministische Zeitschrift "Emma" widmet sich der Kinderfrage
Ellen Kositza

Die Emma, jenes feministische Vorzeigeblatt und vorzügliche Profilierungsorgan ihrer Gründerin Alice Schwarzer, ist langweilig geworden in den letzten Jahren. Dafür darf sie sich auf die Schulter klopfen. Alte Türen, einst trefflich zum Einrennen geeignet, stehen weithin offen. Kein Redner wagt mehr, sprachlich die Bürgerinnen als Adressaten auszuklammern, kein Amt ohne Frauenbeauftragte, keine Rede mehr von Rabenmüttern - die immer wiederkehrende Behauptung einer solchen ausgenommen -, keine Abtreibung ohne Berechtigungsschein, kein Sexualkundeunterricht, der Homosexualität als Abnorm klassifiziert.

Da der Emma somit, den Islam als Ausnahme, die Kampfthemen ausgegangen sind, darf sie sich dem Establishment widmen, dem sie selbst schon länger zuzurechnen ist. Wo es ein Bundeskanzlerinnenamt gibt und Frauen wie Anne Will, Anke Engelke und Judith Holofernes gesellschaftliche Repräsentativposten besetzen, ist die Kampfeslaune einer wohlwollenden Förderstimmung gewichen. 29 Jahre wird Emma demnächst, ein Alter, das für Frauen die K-Frage relevant werden läßt: Kind oder Karriere? Die jüngste November/Dezember-Doppelausgabe widmet ihr 15seitiges Dossier ebenjenem Thema, und es nimmt nicht wunder, daß - in bezug auf die aktuelle Demographie-Diskussion - die Wortschöpfung "Kinderwahnsinn" hier Konjunktur hat.

Im 29. Jahr drohen die Kampfthemen auszugehen

Daß die umfassende schwesterliche Solidarität, allzeit herzinnig und mit bestärkenden Ausrufezeichen geschmückt, eine Binnengruppe, nämlich die der Mütter, weitgehend ausschließt, ist nicht neu. Die Angst der Emanzen - was heute kein Schimpfwort mehr sein dürfte - vor der Biologie fand zu Hochzeiten der zweiten deutschen "Frauenbewegung" sinnfälligen Ausdruck in einem Plakatspruch: "Eine Frau, die sich heute ein Kind wünscht, ist ein Opfer kapitalistischer Propaganda!"

"Kapitalistisch" darf heute, da Frauen längst Managerposten bekleiden, Medienunternehmen führen und politisch agieren, getrost durch das diffusere und entgrenzte Wort "patriarchalisch" ersetzt werden. Unter folgenden Voraussetzungen nur, das darf man ohne schärfere Überspitzung konstatieren, feiern Schwarzer und Autorinnen ihrer Gnade auch solche Frauen, die bereits geboren haben: Wenn der propagierte "Rollentausch" geglückt ist, die Brut nicht viel mehr Platz im (Karriere-)Leben einnimmt als die Pflege eines Haustieres; wenn das Verhältnis von Geburten und Abbrüchen in etwa ausgeglichen ist; wenn das Idol eine Frau aus den Zeitaltern vor der Machbarkeits-Ära ist; wenn die Mutter allein erzieht; oder wenn der Lebenspartner eine Frau ist - in solchem Fall geht sogar die gemütliche Mama am Herd als role model durch.

Leibhaftige Provokation für kinderfreie Mitschwestern

Im Vergleich zum Dossier "Gebärstreik" von 2001 (Fazit: Es liegt an den Männern!) erweist sich die neue Dokumentation auch hinsichtlich ihrer Originalität als sehr schwach auf der Brust - Emma-Themen haben eben längst keinen Exklusivbonus mehr. Bei einem Text handelt es sich um einen Abdruck aus Meike Dinklages lesenswertem Buch "Der Zeugungsstreik" (JF 25/05), ein weiterer wurde bereits in der Weltwoche veröffentlicht, und in dem Artikel von FAZ-Redakteurin Sandra Kegel fehlt der Hinweis darauf, daß nur einige Sätze (oder Wendungen: im Original heißt es "läßt einen ratlos zurück", in der Emma nun sprachlich korrekt: "... läßt frau ratlos zurück") eines alten Artikels umgestellt wurden.

Worum geht es? Um Vaterschaftsstreik, um Mütter und die, die jene Falle der Natur geschickt umgangen haben. Mütter: Das sind die mit den Windelbehältern um den Arm, mit den glanzlosen Kurzhaarfrisuren, den violetten Augenringen; die, die während ihrer hierzulande breit ausgenutzten Babypause keine Sozialbeiträge zahlen, wohl aber eine Vielzahl an Leistungen genießen, finanziert durch "richtig" arbeitende Frauen, die wiederum geschröpft werden.

Vom "Glücksfall Geburtenrückgang", für eine Aufwertung der "Lebensoption Kinderlosigkeit" und gegen eine auf Kinder ausgerichtete Subventionspolitik schreiben - immerhin mit einigen bislang ungehörten Denkanstößen zum Thema Kulturträgerschaft - die Soziologen Rabea Krätschmer-Hahn und Karl Otto Hondrich: Kindermangel steigere das Produktivitätsniveau und löse das Problem der Arbeitslosigkeit. Wo alles so fein sich fügt, bleibt ein Problem: die real nach wie vor existierende Mutter, am Ende noch im reaktionären Mann-als-Ernährer-Modell glücklich und damit eine leibhaftige Provokation für kinderfreie Mitschwestern, die gesellschaftlich weiter sind.

Nun gibt es sie ja tatsächlich, die missionarischen Mütter und Väter, jene - übrigens erfahrungsgemäß meist älteren und hochemanzipierten - Kampfmütter etwa, die auf Ämtern und in Restaurants mit hochrotem Kopf das Fehlen von Schaukelpferdchen und Wickeltisch beklagen und jede Lokalität als manierenfreien Raum für ihre oft ungezogenen Rangen in Beschlag nehmen. Das Insistieren auf Elternschaft als alleinigen Weg zu Glück und verantwortungsvollem Leben ist das eine. Es ist tatsächlich so hinterfragbar, wie es lange schon rar geworden ist.

Das andere aber ist die immer - und auch jetzt in der Emma - wiederkehrende Klage über die "unverfrorene" Frage an eine erwachsene Frau, wie es denn mit dem Kinderwunsch aussehe? War es nicht die Parole der frauenbewegten Wortführerinnen, das Politische privat - und vice versa - werden zu lassen? Jeder, der fragt, hält mich für unfruchtbar und bemitleidenswert, schimpft eine Autorin des Dossiers, während umgekehrt eine andere beklagt, die Möglichkeit der ungewollten Sterilität werde in solch indiskreter Fragestellung nie einbezogen.

Wo das kinderlose Frauenglück als gleich-, wenn nicht höherwertige Lebensalternative zur Mutterschaft gelten soll, warum sollte die Frage nach dem Kinderwunsch nicht ebenso akzeptabel und ebensowenig unhöflich sein wie die Frage nach Beruf und Karriereplänen? Die Antwort können die bewußten Mutterschaftsverweigererinnen einmal niederschreiben, in der Emma und anderswo. Eins können sie gewiß nicht - sie ihren Töchtern vermitteln.

Foto: "Emma"-Herausgeberin Alice Schwarzer: Türen stehen weit offen


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