© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/05 02. Dezember 2005

Gestörter Schulfrieden
Bayern: Der Unternehmer Otto Beisheim verzichtet nach Protesten darauf, einem Gymnasium zehn Millionen Euro zu stiften
Georg Pfeiffer

Wie gewonnen so zerronnen. Es scheint derzeit, als habe diese alte Volksweisheit selten so gut gepaßt wie in der Auseinandersetzung um eine Millionenspende für ein bayerisches Gymnasium. Am 4. August hatte der Großindustrielle Otto Beisheim eine mit zehn Millionen Euro ausgestatte Stiftung zur Unterstützung des Gymnasiums Tegernsee gegründet. Mit der Schulleitung war vereinbart, die Schule in Otto-Beisheim-Gymnasium umzubenennen. Das bayerische Kultusministerium jubelte. Doch die Rechnung war ohne das Lehrerkollegium gemacht worden. Das entschied sich am 10. November mit knapper Mehrheit für die Umbenennung, verlangte aber für den Träger des Bayerischen Verdienstordens eine "Unbedenklichkeitsbescheinigung". Allerdings: Das Kultusministerium stellt keine solchen Bescheinigungen aus, und Anträge zur Namengebung von Schulen werden nur gebilligt, wenn der Antrag einmütig gefaßt ist. Otto Beisheim zog seine Stiftung zurück. Das Chaos war perfekt.

Beisheim, der 1924 in Voßnacken bei Essen geboren worden ist, gilt als einer der reichsten Deutschen. Er absolvierte eine Lehre zum Lederwarenkaufmann und arbeitete nach dem Krieg im Elektrowarenhandel. 1964 gründete er das Großhandelsunternehmen "Metro", das sich glänzend entwickelte und ihn auch zu einem der reichsten Männer Europas machte. Mittlerweile gehören wesentliche Anteile an Galeria Kaufhof, Media Markt, Saturn, Real, Extra und Praktiker zu seinem Vermögen. Otto Beisheim hat seinen Hauptwohnsitz in der Schweiz, ist aber bei vielen Gelegenheiten in Deutschland als Stifter und Mäzen aufgetreten. So hat er die private Wissenschaftliche Hochschule für Unternehmensführung (WHU) durch erhebliche Stiftungen massiv gefördert. Weiterhin hat er eine Stiftung ins Leben gerufen, die an der Technischen Universität Dresden regelmäßig Kolloquien zu wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Themen durchführt, etwa zur "Zukunft der Innenstadt", zur "Krisenkommunikation" oder zur "Gesellschaftspolitik in einer globalisierten Welt". Im Jahre 2004 wurde in Berlin am Potsdamer Platz das Beisheim-Center eröffnet, die größte Privatinvestition in Berlin. In seiner zweiten Heimat am Tegernsee hat er sich auch mit weniger spektakulären Spenden und Stiftungen etwa für Kindergärten, die Klinik oder Sportvereine engagiert.

Auch für dieses Engagement erhielt Otto Beisheim höchste Auszeichnungen: Er ist Träger des Bundesverdienstkreuzes, die Länder Bayern und Berlin haben ihm ebenfalls Verdienstorden verliehen. Die Technische Universität Dresden hat ihm die Ehrendoktorwürde zuerkannt und die WHU seinen Namen angenommen. Sie tritt jetzt als Otto-Beisheim-Hochschule auf.

Dann aber fand der Journalist Michael Radtke eine Krankenakte von 1943 bei den Archivmaterialien der Wehrmachtauskunftstelle. Sie bezog sich auf einen SS-Scharführer Otto Beisheim. Das war das Fanal. An die Person des Mäzens knüpften sich wilde Gerüchte und Spekulationen. So war in der linken Zeitschrift konkret zu lesen: "Nach Hitlers Selbstmord beauftragten einige SS-Bonzen einen Frischling aus der Leibstandarte, die Fackel weiterzutragen. Sie weihten den Jungen in die HIAG ein, informierten ihn über ihre Bankkonten und persönlichen Verbindungen in der Schweiz. Der beginnt mit Hilfe seiner neuen Schweizer Freunde ein zweites Leben als ehrbarer Kaufmann im Steuerparadies" und: "wenn der alte Beisheim sich jetzt neben seinem einstigen Aktionsfeld ... ein Denkmal setzt, schließt sich der Kreis." Diese üble Nachrede machte die Runde, vermochte Otto Beisheim, der sich zu seiner Vergangenheit nicht äußert, aber nicht nachhaltig zu schaden.

Im Schulstreit haben mittlerweile fünf Bürgermeister aus der Region eine gemeinsame Stellungnahme verfaßt, in der sie sich gegen "die selbsternannten Moralapostel" stellten und den entsprechenden Lehrern rieten, möglichst rasch um Versetzung nachzusuchen. Man müsse Angst haben, welche Mentalität sie den Kindern einpflanzten. Der Landrat Norbert Kerkel nannte die Haltung des Lehrergremiums "verantwortungslos". Der Stifter sei schon mehrfach "durchleuchtet" worden, nur den Lehrern des Gymnasiums sei er nicht würdig genug.

Am darauffolgenden Montag, den 14. November gab es eine Demonstration von 250 Eltern, Lehrern und Schülern in der Aula. Ein Teilnehmer fragte offen: "Was berechtigt und befähigt Sie, nach 65 Jahren über das moralische Verhalten eines damalig Heranwachsenden zu urteilen?"

Diese Frage blieb unbeantwortet. Der Schuldirektor versuchte zurückzurudern. Den Lehrern seien gezielt Informationen zugespielt worden. Darauf habe er das Kultusministerium gebeten, ihm Argumentationshilfe zukommen zu lassen. Diese sei aber leider zu spät angekommen, nämlich zwei Tage vor besagter Konferenz am 10. November. Das Schreiben entkräfte alle Vorwürfe. Er habe es in der Konferenz verlesen. "Viele Argumente wurden nur leider nicht gehört." Auf den Vorhalt, warum an dem Gutachten gezweifelt worden sei: "Viele haben es einfach nicht zur Kenntnis genommen." Für ihn seien alle Zweifel ausgeräumt. Am Ende sah es aus wie eine Kommunikationspanne. Es gab einen neuen und eindeutigen Beschluß zur Umbenennung der Schule.

Nach den zutage gekommenen amtlichen Informationen hat Otto Beisheim tatsächlich in der Leibstandarte "Adolf Hitler" als Kanonier gedient. Er erhielt das Eiserne Kreuz zweiter Klasse. Über ehrenrührige Begebenheiten gibt es keinerlei Erkenntnisse. Auch der Präsident der Otto-Beisheim-Stiftung Erich Greipl bestätigte inzwischen, der Stifter sei mit 18 Jahren zum Wehrdienst in die Panzerdivision der Leibstandarte eingerückt. Er habe dort den untersten Dienstgrad innegehabt. Im übrigen wies er darauf hin, daß die Umbenennung der Schule niemals Bedingung für die Stiftung gewesen sei. Otto Beisheim habe es nicht nötig, seinen Ruf zu mehren. Am 19. November fand eine neuerliche Demonstration mit etwa 500 Teilnehmern statt, an der sich auch ehemalige Stiftungsgegner beteiligten. Sie bekundeten ihre Solidarität mit Otto Beisheim und baten darum, die Stiftung doch nicht platzen zu lassen - bislang ohne Erfolg.

Antifa fordert öffentliche Distanzierung

Diese Vorgänge und Informationen ignorierend, trat bei dem 7. Kolloquium der Otto-Beise-Stiftung in Dresden eine "Antifa Hochschulgruppe" mit folgendem Ansinnen auf: "Unsere Minimalforderung ist ein Beweis dafür, daß Otto Beisheim unfreiwillig in die Waffen-SS eingezogen wurde. Außerdem ist eine öffentliche Distanzierung Beisheims zur Waffen-SS, verknüpft mit einer Entschuldigung an die Opfer des NS, das mindeste, was wir erwarten. Sollten diese Punkte nicht erfüllt werden, so werden wir unsere Aktionsformen ausweiten." Bedingungslose Unterwerfung also. Deutlicher kann man eine totalitäre Anmaßung nicht formulieren. Möglicherweise gibt es noch andere als steuerliche Gründe, außerhalb Deutschlands zu leben, obgleich man sich dem Land verbunden fühlt.

Fotos: Schloß Tegernsee, in dem das Gymnasium untergebracht ist: Rechnung ohne die Lehrer gemacht / Otto Beisheim: Rückzug


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