© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/05 02. Dezember 2005

"Nicht jede Armee muß alles leisten"
Berliner Sicherheitskonferenz: Licht und Schatten in der Europäischen Verteidigungspolitik / Hochrangige Teilnehmer
Curd-Torsten Weick

Während die Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik sich Anfang Februar 2006 bereits zur 42. Auflage versammeln wird, fand zu Beginn dieser Woche erst zum vierten Mal die Berliner Sicherheitskonferenz statt - vielen Unkenrufen zum Trotz, die der Berliner Veranstaltung nur eine kurze Lebensdauer vorausgesagt hatten. Doch sah sich die vom Behörden Spiegel veranstaltete Konferenz von Anfang an nicht als Konkurrent, sondern als Ergänzung zu der von Kohl-Berater Horst Teltschik geleiteten Münchener Tagung. Kein Wunder, beschäftigt sie sich eben in erster Linie mit der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP).

Diese steckt noch in den Kinderschuhen - ihre "Geburtsstunde" schlug im Juni 1999 beim Europäischen Rat in Köln - und findet zum Leidwesen des Präsidenten der Konferenz, Karl von Wogau (CDU), zumeist unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Dabei gebe es einiges Positives zu berichten, so der Vorsitzende des Unterausschusses Sicherheit und Verteidigung im EU-Parlament. Erstens zeigten Umfragen, das die Europäer einer gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik - im Gegensatz zu anderen Politikfeldern - mehr als positiv gegenüberstünden. Zweitens verwies von Wogau auf die Gründung der Europäischen Verteidigungsagentur im Juli 2004, die als Zielvorgabe die Koordinierung unter den Streitkräften der Mitgliedstaaten nachhaltig verbessern und auf den Gebieten Forschung, Beschaffung, Ausrüstung und Schlagkraft in allen Bereichen der jeweiligen nationalen Streitkräfte zur Effizienzsteigerung beitragen soll.

Drittens kam der Konferenzpräsident mit besonderem Stolz auf die "europäischen Soldaten" der militärischen Operation Althea (griechisch: die Heilende) in Bosnien-Herzegowina zu sprechen: "Es stehen beispielsweise heute schon 6.500 Soldaten in Bosnien-Herzegowina, die dort den Friedensauftrag von der Nato übernommen haben, mit dem europäischen Stern am Ärmel und unter europäischem Kommando."

Auf allen Ebenen ist noch viel Sand im Getriebe

Doch einiger weniger Lichtblicke zum Trotz: Vom ökonomischen Standpunkt aus betrachtet, ist die EU ein Riese, auf militärischem Gebiet bleibt sie ein "Zwerg". Dieser Einschätzung mochte auch von Wogau nicht widersprechen und verwies auf die Defizite.

Wo liegen die Interessen der EU, fragte der CDU-Politiker und verlangte ein klares Konzept. Wieso, wie bei der ESVP-Mission "Aceh Monitoring Mission" zur Überwachung des Friedensabkommens zwischen der indonesischen Regierung und der Bewegung für ein freies Aceh (GAM), in die Ferne schweifen, wenn, wie auf dem Balkan, vor der europäischen Tür die Sicherheit gefährdet ist? Der gemeinsame verteidigungspolitische Wille sei zwar da, doch wenn die europäischen Partner unter anderem weiter damit fortführen, ihre nationalen Hauptquartiere auszubauen, sei es mit der unabdingbaren einheitlichen Befehlsstruktur nicht weit her, sagte von Wogau. Auch gebe es noch erhebliche Defizite bei der satelliten- und luftgestützten Aufklärung, der Telekommunikation sowie beim Luft- und Seetransport.

Vor allem die mit Vorschußlorbeeren versehene Europäische Verteidigungsagentur komme nicht "ins Laufen", erklärte fortführend der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des EU-Parlaments, Elmar Brok (CDU). Aufgrund der vielfältigen nationalen Egoismen in puncto Forschung, Beschaffung und Ausrüstung sei auf allen Ebenen "Sand im Getriebe". Frei nach dem Motto "Die Minister entscheiden und nichts wird gemacht", kritisierte Brok. Dabei sei gerade auf dem Gebiet der Beschaffung und Ausrüstung eine enge Zusammenarbeit unausweichlich. Einfach einzukaufen, statt selber zu entwickeln, sei nicht hinzunehmen. Dies ergebe nur politische Abhängigkeiten, die einem selbstbewußten Europa entgegen stünden, erläuterte Brok vor den 1.500 hochrangigen Politikern, Militärs und Rüstungslobbyisten, die sich auf der Tagung zusammengefunden hatten.

Als hätte er dies vernommen, unterstrich der während des Vortrages von Brok sich noch auf dem Weg zum Konferenz befindliche österreichische Verteidigungsminister Günther Platter im Anschluß den ESVP-bewußten Wiener Kauf des Eurofighters. Die EU sei das "größte Friedensprojekt", betonte der ÖVP-Politiker hernach und erklärte den Balkan zum Schwerpunkt-Thema der österreichischen Ratspräsidentschaft, die am 1. Januar 2006 beginnt.

Letztendlich brachte dann der Vorsitzende des EU-Militärkomitees, Mosca Moscini, die Zukunftsfähigkeit der ESVP auf den Punkt. Der General betonte, daß europäische Streitkräfte nicht das Ziel seien. Ziel sei allein das gemeinsame Handeln. Er forderte die multidisziplinäre Bündelung der Mittel und skizzierte einen "umfassender Korb der Fähigkeiten" - schnell handeln, schnell reagieren, Kräfte bündeln. Brok faßte dies dann kurz zusammen: "Nicht jede Armee muß alles leisten!"


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