© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/05 02. Dezember 2005

Der Stadt in die Seele geschaut
Humor ist, wenn man trotzdem leidet: Woody Allen zum siebzigsten Geburtstag
Michael Insel

Für Kinogänger überall auf der Welt ist er der neurotische New Yorker Intellektuelle jüdischer Abstammung: gerade mal 1,70 Meter groß, von Weltschmerz und Selbstzweifel geplagt, rothaarig und bebrillt. Woody Allen erfand sein Alter ego 1961, als er nach Jahren als Texter für andere Komiker unter dem Namen "Heywood" eigene Auftritte zu absolvieren begann. Diese Rolle half ihm, seine Schüchternheit zu überkommen - und erwies sich als ein solcher Erfolg, daß er darauf eines der umfangreichsten Gesamtwerke der Filmgeschichte aufbaute: In über fünfzig Jahren in der Unterhaltungsindustrie hat sich Allen als Regisseur, Drehbuchautor, Schauspieler und Produzent einen Namen gemacht und bislang 48 Filme gedreht.

Allen Stewart Konigsberg kam am 1. Dezember 1935 im New Yorker Stadtteil Brooklyn auf die Welt. Mit seiner Schwester Letty wuchs er im Arbeiterviertel Flatbush auf, Vater Martin war Taxifahrer, dem Verbindungen zur organisierten Kriminalität nachgesagt werden, Mutter Nettie Cherrie Buchhalterin bei einem Floristen. Seine Mitschüler in der hebräischen Schule, die er acht Jahre lang besuchte, schätzten die Zauberkunststücke und Räuberpistolen des sportbegeisterten Rotschopfes - später pflegte er Witze darüber zu reißen, wie er jeden Sommer in interkonfessionellen Ferienlagern von Kindern aller Rassen und Glaubensrichtungen brutal verprügelt worden sei.

Der geborene Komödiant schrieb schon als Jugendlicher Pointen, die sein Agent an Zeitungskolumnisten verkaufte. Mit 15 hatte er einen Künstlernamen und mit 16 regelmäßige Aufträge für Radio- und Fernsehstars.

Nach der Schule begann Allen ein Filmstudium an der New York University. Besonders das europäische Kino hatte ihn immer fasziniert, doch sah er darin im Gegensatz zur Schreiberei keine zukunftsträchtige Karriere. Es dauerte nicht lange, bis er sein Studium wieder abbrach - eigenem Bekunden zufolge, weil er während einer Vorlesung in die Seele des Jungen geblickt hatte, der neben ihm saß. Nach einem kurzen Intermezzo am City College begann er für Sendungen wie die "Ed Sullivan Show" und die "Tonight Show" zu schreiben, was ihm 1957 seinen ersten Emmy einbrachte.

Zunehmend versuchte Allen sich auch als Dramaturg, Prosaschriftsteller und Stegreifkomiker. Bei einem seiner regelmäßigen Clubauftritte wurde er von einem Filmproduzenten entdeckt, der ihn für "Was gibt's neues, Pussy?" (1965) anheuerte. Diese Erfahrung lehrte ihn, nie wieder ein Drehbuch für einen anderen Regisseur zu schreiben.

Seine nächste Rolle als "Jimmy Bond" in der 007-Parodie "Casino Royale" (1967) zählte zu den wenigen, die Allen sich nicht auf den Leib geschrieben oder wenigstens als Regisseur betreut hatte - wie auch die Kinoversion seines wunderbaren Broadway-Stücks "Mach's noch einmal, Sam" (1972), die Kommunistenjagd-Satire "Der Strohmann" (1976) oder Paul Mazurskys Flop "Ein ganz normaler Hochzeitstag" (1991).

Sein Regiedebüt verdankte Allen einem japanischen Spionagethriller, den er mit Hilfe seiner damaligen Ehefrau, der Schauspielerin Luise Lasser, und recht amüsanten Ergebnissen als "What's up, Tiger Lily?" synchronisierte. Danach folgten der pseudo-dokumentarische "Woody der Unglücksrabe" (1969) sowie eine Reihe unvergeßlicher Komödien: "Bananas" (1971), "Was Sie schon immer über Sex wissen wollten" (1972), "Der Schläfer" (1973) und "Die letzte Nacht des Boris Gruschenko" (1974).

Allens Durchbruch kam mit dem vierfachen Oscar-Gewinner "Der Stadtneurotiker" (1977), einem urkomischen und doch tiefgründigen Porträt der Manhattaner Kulturschickeria. Hatten Allens Filme bislang in der Tradition von Groucho Marx gestanden, so machte sich in seinem nächsten Werk, dem düsteren Drama "Innenräume" (1978), der Einfluß Ingmar Bergmans, eines seiner Lieblingsregisseure, bemerkbar.

In den nächsten zehn Jahren feierte Allen mit "Manhattan" (1979), seinem persönlichen Favoriten "The Purple Rose of Cairo" (1985) und dem Kassenschlager "Hannah und ihre Schwestern" (1986) einige seiner größten Erfolge.

Als 1992 "Ehemänner und Ehefrauen" in die Kinos kam, schien es, als imitiere Allens Privatleben seine Kunst: Während ihre langjährige Beziehung auf der Leinwand an einer Liebschaft mit einer Studentin zerbrach, geriet Allens Trennung von Mia Farrow zu einem Schlagzeilen-Spektakel sondergleichen. Farrows Autobiographie zufolge bot Frank Sinatra an, Allens Beine brechen zu lassen, als dessen Affäre mit ihrer 22jährigen Adoptivtochter Soon-Yi Previn ans Tageslicht kam. Daß Farrow ihre Vorwürfe, Allen habe die siebenjährige gemeinsame Adoptivtochter Dylan sexuell mißbraucht letztlich zurückzog, konnte den Schaden an Allens Ruf nicht wiedergutmachen.

Er ließ sich dadurch nicht von der Arbeit abhalten, sondern engagierte seine einstige Flamme Diane Keaton für "Manhattan Murder Mystery" (1993). 1996 legte er eine Kreativpause ein, um sich seiner anderen Leidenschaft, dem Jazz, zu widmen, ging mit Previn und seiner Klarinette auf Europatournee und spielte in dem Dokumentarfilm "Wild Man Blues" einmal nicht "Woody Allen", sondern nur sich selber. Im nächsten Jahr heiratete das Paar und hat inzwischen zwei Töchter adoptiert.

Allens phänomenale Produktivität hat ihm nicht nur Applaus, sondern auch einigen Spott eingetragen, und Streifen wie "Im Bann des Jade-Skorpions" (2001) und "Hollywood Ending" vermochten selbst glühende Fans nicht wirklich vom Hocker zu reißen. Auf den Kinostart von "Match Point", seinem Film über die Londoner Tennisszene, der auf dem diesjährigen Festival in Cannes begeistert aufgenommen wurde, am 29. Dezember darf man sich jedoch freuen.

Er bedauere lediglich, soll Woody Allen einmal gesagt haben, "daß ich nicht jemand anders bin". Ob er es ausnahmsweise ernst gemeint hat?

Foto: Woody Allen vor der Kulisse seiner Heimatstadt New York: Seine Rollen schreibt er sich auf den Leib


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