© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/05 09. Dezember 2005

Dreißig Jahre nach zwölf
Raum ohne Volk: Die demographische Entwicklung bestimmt das Schicksal der Deutschen
Kurt Zach

Wer heutzutage in einer deutschen Großstadt einen Spielplatz, einen Kindergarten oder das Wartezimmer einer Kinderarztpraxis aufsucht, der weiß, wie dieses Land in zwanzig Jahren aussehen wird: Wenn die dort herumtobenden kleinen Türken, Afrikaner und Araber erst erwachsen sind, werden sie das Straßenbild dominieren und die Restdeutschen marginalisieren. Deutschlands demographische Weltrekorde - die am längsten anhaltende Bevölkerungsschrumpfung, der größte Anteil an Kinder-Total­verweigerern und die höchste Einwanderungsrate aller Industrieländer - lassen es ungebremst und sehenden Auges auf eine Bevölkerungskatastrophe zusteuern, die mit der drohenden Unfinanzierbarkeit der sozialen Sicherungssysteme lange nicht zureichend beschrieben ist: Sie wird das Land grundstürzend verändern.

Deutschland vergreist. Nicht weil die Alten immer mehr und - dem medizinischen Fortschritt sei Dank - immer betagter werden, sondern weil die Jüngeren immer weniger werden. Wir stehen erst am Anfang eines irreversiblen Alterungs- und Schrumpfungsprozesses. Die Tatsache, daß die letzten geburtenstarken Jahrgänge heute noch mitten im Erwerbsleben stehen, täuscht über den Ernst der Lage hinweg: Wenn in zwei Jahrzehnten der letzte "Babyboomer" in Rente geht, wird die Bevölkerungsimplosion der Jüngeren erst richtig beginnen. Ganze Generationen potentieller Eltern und Großeltern von möglichen Beitragszahlern sind gar nicht geboren worden. Hundert Erwerbstätige werden statt aktuell für 43 bis zur Jahrhundertmitte für 80 bis 90 Rentner aufkommen müssen. Steigenden Renten- und Gesundheitskosten für eine gealterte Bevölkerung steht dann ein dramatisch gesunkenes Umverteilungsvolumen gegenüber. Soll man die Beitragssätze verdoppeln, die Renten halbieren oder das Rentenalter auf 73 heraufsetzen? Das wird 2050 so unpopulär sein wie heute.

Deutschland verarmt. An das Märchen, junge, arbeitsame Einwanderer könnten die demographische Katastrophe abwenden, glauben heute nicht mal mehr eingefleischte Multikulturalisten. Um den Anstieg des Altenquotienten, der die Unterhaltslasten der Erwerbsfähigen binnen Jahrzehnten verdoppeln wird, noch aufzuhalten, müßten bis 2050 netto 188 Millionen Einwanderer nach Deutschland kommen, Arbeit finden, Beiträge zahlen - kurz, sich integrieren. Das klappt bekanntlich nicht einmal mit einem Bruchteil dieser Zahl.

Im Gegenteil: Die bisher praktizierte Einwanderung Minderqualifizierter, deren Bevölkerungsanteil dank hoher Geburtenraten und weiteren Zuzugs rasch ansteigt, wird den demographisch bedingten Verlust an Wohlstand und Wachstum des Volkseinkommens noch beschleunigen. Daran ändert auch eine durch technischen Fortschritt erreichte wachsende Arbeitsproduktivität nichts Wesentliches. Sie wird den wachsenden Transferbedarf nicht ausgleichen können. Es fehlen ja nicht nur die Beitragszahler, sondern auch die Denker und Ingenieure der Zukunft. Wissenschaftlicher und technischer Fortschritt beginnt mit der Erziehung lernfähiger und lernwilliger Kinder in den Familien, die in Schulen, Universitäten und Betrieben auf hohem Niveau ausgebildet werden können. Da der mit neokolonialer Attitüde proklamierte "Wettlauf um die Besten", die das selbsterklärte "Einwanderungsland Deutschland" angeblich anlocken wollte, zum glatten Gegenteil geführt hat, bedeutet die von allen Regierungen forcierte Einwanderung nicht Entlastung und Bereicherung, sondern zusätzliche Lasten und Kosten, die auch unter günstigeren Umständen kaum ausgeglichen werden könnten.

Deutschland zerfällt. Den solidarischen Sozialstaat, in dem die Mehrzahl der heute im aktiven Leben Stehenden aufgewachsen und sozialisiert worden ist, wird es demnach in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts nicht mehr geben. Nicht nur, weil die Kosten davonlaufen, sondern mehr noch, weil sich die Nation auflöst, die diesen Sozialstaat tragen könnte. Selbst konservative Bevölkerungsprognosen sagen für die Jahrhundertmitte eine Relation von 19 Millionen Einwanderern zu nur noch 49 Millionen Deutschen vorher. Bei den unter Vierzigjährigen werden Einwanderer in vielen Großstädten schon in wenigen Jahren die Mehrheit stellen; bei den Älteren werden die Deutschen dagegen im ganzen Land die Mehrheit behalten.

Werden die jungen Einwanderer also die wachsenden Versorgungslasten für die alten Deutschen tragen? Diese Zumutung würden sie wohl auch zurückweisen, wenn sie nicht - wie aktuell der Fall - zu einem hohen Prozentsatz selbst lebenslang von staatlichen Transfers zu leben gedächten. Zum Generationenkonflikt und zum Konflikt zwischen Eltern und Kinderlosen tritt also als vermutlich schärfster ein ethnischer Verteilungskonflikt - wenn sich denn die eine Seite, die mit der Kindsverweigerung selbst auf ihre Zukunft verzichtet hat, überhaupt noch wehrt und nicht vielmehr, statt den Konflikt auszutragen, geräuschlos von der Bühne abtritt.

Diese Fakten liegen seit langem für jedermann einsehbar auf dem Tisch. Nur tun sich die politisch Verantwortlichen mit dem Einsehen schwer. Auch den Wink mit dem Holzhammer, den das Bundesverfassungsgericht der politischen Klasse 2001 mit dem Urteil zur Pflegeversicherung verpaßt hat, haben sie eiskalt ignoriert. Die "Transferausbeutung der Familien", die von Herwig Birg angeprangerte verfassungswidrige Bevorzugung Kinderloser durch unsere umlagefinanzierten Renten-, Kranken- und Pflegeversicherungssysteme geht also weiter. Eltern und Nicht-Eltern gewähren diese Systeme im wesentlichen gleiche Versorgungsansprüche, weil sie nur den Geldbeitrag zählen und nicht den "generativen" Beitrag - die Erziehung und Heranbildung künftiger Beitragszahler.

Diese Feigheit und Blindheit, die der Logik des kurzatmigen Durchhangelns von einem Wahltermin zum nächsten folgt und sich um Entscheidungen drückt, die nicht zu sofortigem Ruhm führen, hat fatale Folgen. Denn so wie demographische Fehlentwicklungen sich über Jahrzehnte vorausberechnen lassen, dauert es noch länger, sie zu korrigieren. In diesem Sinne ist es für Deutschland tatsächlich schon dreißig Jahre nach zwölf.

Doch Demographie ist Schicksal. Eine Regierung, die tatsächlich "Deutschland dienen" wollte, müßte den konservativen Wagemut aufbringen, sich von den Egoisten der Gegenwart verfluchen zu lassen, um von kommenden Generationen gepriesen zu werden. Die deutsche Politik kennt keine wichtigere Aufgabe als die Bevölkerungspolitik. "Im Vergleich zur demographischen Katastrophe", schrieb Claude Lévi-Strauss schon 1992, sei sogar "der Zusammenbruch des Kommunismus unwichtig."


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