© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/05 09. Dezember 2005

"Wir haben eine Staatskrise"
Institut für Staatspolitik: Die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland ist dramatisch / Ein hochkarätig besetztes Kolleg
Tobias Westphal

Staatskrise' ist an sich ein positives Wort. Denn zumindest existiert noch ein Staat, der in eine Krise stürzen kann." So begrüßte am vergangenen Wochenende Götz Kubitschek, Leiter des Instituts für Staatspolitik (IfS, www.staatspolitik.de ), die mehr als 300 Zuhörer zum 10. Berliner Kolleg mit dem Thema "Die Staatskrise". Als Gründe einer Krise machte er unter anderem die hohe Arbeitslosigkeit, den Geburtenausfall und die Staatsverschuldung aus. Zu diesen Themen referierten in Berlin der Historiker Karlheinz Weißmann, der Bevölkerungswissenschaftler Herwig Birg und Jost Bauch, Soziologe an der Universität Konstanz.

Im Einführungsvortrag beschäftigte sich Karlheinz Weißmann mit der "Krise als Chance". Seit den sechziger Jahren habe es Krisen des Bildungs-, des Parteien- und des Rentensystems sowie eine dauernde Krise des Arbeitsmarktes gegeben. Dem Begriff der Krise liege das griechische Wort krisis zugrunde, das soviel wie "entscheiden", "richten" oder "beurteilen" heißen kann. Zwischen Kritik und Krise bestehe ein Zusammenhang. Die Kritik wolle (be)urteilen, und das Urteil werde in der Krise vollzogen. Somit müsse die Krise - wie Hegel lehrte - letztendlich als notwendiger Durchgang zu einer höheren Stufe der Entwicklung betrachtet werden.

Über ein für Deutschland grundlegendes Problem referierte Herwig Birg. Unter dem Titel "Konfliktpotential Demographie" hob er hervor, daß Deutschland drei bemerkenswerte Rekorde halte: Zum einen sei es das erste Land mit einer Schrumpfung, also mit mehr Todesfällen als Geburten. Es sei realistisch anzunehmen, daß im Jahr 2060 sogar etwa 1,2 Millionen Verstorbene circa 500.000 Geburten gegenüberstehen werden. Des weiteren hat unser Land den höchsten Anteil an zeitlebens kinderlos bleibenden Frauen, hervorzuheben seien unter diesen besonders die Akademikerinnen. Mit steigendem Wohlstand sinke der Kinderwunsch der Frau. Schon jetzt habe Deutschland jedes Jahr mehr Zuwanderer als Geburten. Und nicht zuletzt habe Deutschland die höchste Zuwanderung aller Staaten je 100.000 Einwohner.

Höchste Zuwanderung aller Staaten in Europa

Unser Land hätte bei der Integration schon Bemerkenswertes geleistet; zwischen 1990 und 1998 lag der Zuzug von Ausländern nach Deutschland bei knapp 7,5 Millionen, davon etwa 1,8 Millionen Asylanten, sagte Birg. Das deutsche Volk werde ohne Einwanderung bis zum Jahr 2100 auf 25 Millionen schrumpfen. Mit Einwanderung wird die Bevölkerung im Jahr 2100 circa 50 Millionen betragen, wobei der Anteil der Zugewanderten und ihrer Nachkommen schon im Jahr 2080 einen Anteil von über 43 Prozent erreichen wird. Problematisch bei dieser Entwicklung sei, daß 60 Prozent der Kinder von Einwanderern nur einen Hauptschul- oder gar keinen Abschluß machen, erklärte Birg.

Nur drei Prozent der Ausländerkinder würden studieren, bei den Deutschen besuchen indes circa 17 Prozent eine Hochschule. Das bedeute aufgrund der geringen Bildung auch geringere Chancen für Ausländerkinder am Arbeitsmarkt, und damit einher gehen niedrigere Einkommen. Dies sei deswegen problematisch, da diese Gruppe bald die Mehrheit in Deutschland bilden wird.

Der einzige Weg zu einer weniger gravierenden Alterung der deutschen Bevölkerung ist eine Zunahme der Geburtenrate auf mindestens zwei Kinder (2,1) zu der derzeitigen 1,3 pro deutscher Frau. Birg forderte, daß zukünftig wieder mehr "Ältere" in den Arbeitsmarkt integriert werden müßten. Nur so springe die Wirtschaft wieder an. Denn junge, gut ausgebildete Menschen werden kontinuierlich immer weniger.

Auch fordert er ein Familienwahlrecht und die Bevorzugung von Eltern bei der Vergabe von Arbeit. "Es ist wichtig zu erkennen, daß man den Menschen klarmacht, wie wertvoll es ist, das Leben mit einem Menschen zu teilen. Eine Gesellschaft muß sich so formieren, daß keine Wahlzwänge entstehen: Kind oder beruflicher Erfolg bzw. Kind oder hohes Einkommen. Es muß beides möglich sein", sagte Birg. "Zwei Drittel der Bevölkerung sind die Eliten unseres Landes. Denn das sind Familien mit zwei Kindern und mehr."

Im abschließenden Vortrag stellte Jost Bauch die Frage, wer die "Verhältnisse zum Tanzen" bringe, und äußerte sich "zur Frage des Subjekts eines konservativen Politikwechsels". Zunächst stellte er im Sinne des Politikwissenschaftlers Manfred Hättich (1925-2003) fest, "daß die Konservativen in der Regel keine Massen zu bewegen vermögen, denn sie können keine zündenden und sensationellen Ideen einbringen. Sensationell sei nicht das Bestehende und Hergebrachte, sondern das Neue und Umstürzlerische." Nichtsdestotrotz müßten die Konservativen fünf Punkte aufgreifen, die zu ändern ein Minimalkonsens einer konservativen Bewegung sein sollte: zum einen die Ablehnung des multikulturellen und multiethnischen Gesellschaftsprojekts. Auch die Forderung nach einer völlig anderen Familienpolitik müsse bekräftigt werden, die Familie aus Mann, Frau und Kindern wieder in das Zentrum der Gesellschafts- und Sozialpolitik rücken.

Dem Werte-Relativismus sei Einhalt zu gebieten

Zum Wohle der einheimischen Bevölkerung sollte man dieses Land nicht schutzlos einer Globalisierung und somit einem Ausverkauf preisgeben. Des weiteren sei eine Kehrtwende in der Bildungspolitik, die einer Spaß- und Erlebnispädagogik eine Absage erteilt, dringend notwendig. Andere Bildungsinhalte müßten den jungen Menschen stärker mit Förderung und Forderung in die Pflicht nehmen. Und nicht zuletzt dem Werte-Relativismus sei nachdrücklich Einhalt zu gebieten. Insbesondere junge Menschen sollten eine christlich-abendländische Sozialisation erfahren, um Werte wie Fleiß, Anstand, Demut, Treue und "Null-Toleranz" gegenüber Kriminalität im Alltag umsetzen zu können.

Dadurch daß immer größere Bevölkerungsteile zu den "sozial Ausgeschlossenen" gehörten, entwickele sich eine "Dramaturgie der Zuspitzung". Diese müsse genutzt werden, um zu verdeutlichen, daß der Koservativismus über eine soziale Kompetenz und über "positive Gegen- und Gesellschaftsbilder" verfüge. Bauch appellierte, daß eine konservative, demokratische Partei rechts der CDU erforderlich sei. "Es wird Zeit, daß eine solche Partei ihre Arbeit aufnimmt, sonst ist dieses unser Land verloren."

Foto: Referenten Karlheinz Weißmann, Herwig Birg und Jost Bauch (v.l.n.r.): Die Krise als notwendiger Durchgang zu einer höheren Entwicklungsstufe


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