© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/05 09. Dezember 2005

Ein Faun, eine Hexe, ein Messias
Teufelswerk und Gottes Beitrag: Mit der "Narnia"-Reihe will Disney einen neuen Markt erschließen
Michael Insel

Nachdem Peter Jackson sie alljährlich im Advent mit einer neuen Folge der "Herr der Ringe"-Trilogie verwöhnt hatte, lockt nun "Der König von Narnia" Fantasy-Freunde in die Kinos. Der Familienfilm basiert auf dem bekanntesten Roman aus C. S. Lewis' siebenteiliger biblischer Allegorie "Die Chroniken von Narnia", deren nächste Folge "Prinz Caspian" bereits als Drehbuch vorliegt - wenn die Kassen süß genug klingen, dürfte Weihnachten noch bis 2011 in Narnia gefeiert werden.

Daß der Disney-Konzern und die Produktionsfirma Walden Media sich den Spaß bislang ganze 150 Millionen Dollar kosten ließen, liegt nicht nur an der Zugkraft des Fantasy-Genres. Die 370 Millionen, die Mel Gibsons Eigenproduktion "Passion Christi" allein auf dem US-Markt einspielten, riefen Hollywood eine vernachlässigte Zielgruppe ins Gedächtnis: evangelikale und konservative Christen, die in der Licht-und-Schattenmagie eher Teufelswerk sehen. So ließ sich die französische Naturdoku "Die Reise der Pinguine" (JF 42/05) dort dank begleitender Gebetskreise und Seminare als gottgefällige Unterhaltung verkaufen und wurde zum Überraschungsrenner dieses Sommers.

Jahrelang hatten sich die großen Studios vor einer Verfilmung der beliebten "Narnia"-Serie gescheut - aus Angst, die Ungläubigen unter den Kinogängern zu vergrätzen. Nun versuchen Disney und Walden Media, dessen Geschäftsführer Philip Anschutz, ein presbyterianischer Milliardär, in Hollywood "saubermachen" möchte, mit einer aggressiven zweigleisigen Vermarktungsstrategie beide Publikumssegmente anzusprechen. Neben der üblichen Werbekampagne mit Postern, Computerspielen und Merchandising-Artikeln haben sie die PR-Agentur Motive Entertainment eingespannt, die schon "Die Passion Christi" an den mittelwestlichen Kirchgänger brachte.

Werbetrommeln rühren auch die National Association of Evangelicals und das Church Communications Network, die Kirchenältesten jüngst in einem Narnia Outreach Training medienwissenschaftliche Nachhilfe erteilten. Der Verlag Harper Collins macht sich die Synergien zwischen Kanzel und Kapital zunutze, um in über sechzig Ländern 170 Titel von und über C. S. Lewis zu veröffentlichen, viele davon zu religiösen Themen, während der Disney-Konzern einen von populären christlichen Musikern bespielten "alternativen" Soundtrack herausbringt.

Will Lon Allison, Leiter des Billy Graham Centre am Wheaton College in Illinois, in "Der König von Narnia" Gottes Stimme und "das Evangelium Jesu Christi" vernehmen, behauptet Regisseur Andrew Adamson treuherzig, mit theologischen Anliegen so oder so nichts am Hut zu haben: "Ich verfilme nur das Buch, also erzähle ich bloß die Geschichte, wie C. S. Lewis sie geschrieben hat." Der Literaturwissenschaftler Lewis (1898-1963), der sich im Zuge seiner Beschäftigung mit heidnischen Mythen vom Atheisten zum christlichen Apologeten wandelte und in Oxford wie der "Herr der Ringe"-Schöpfer J. R. R. Tolkien dem Schriftstellerzirkel der "Inklings" angehörte, äußerte dazu: "Manche Leute denken, ich hätte mit der Frage begonnen, wie ich Kindern etwas über das Christentum sagen kann; dann hätte ich mir das Märchen als Instrument ausgesucht ..., dann eine Liste grundlegender christlicher Wahrheiten aufgesetzt und 'Allegorien' gezimmert, um sie zu verkörpern. Das ist alles blanker Humbug." Am Anfang hätten vielmehr die Bilder gestanden: "ein Faun, der einen Regenschirm trägt, eine Königin auf einem Schlitten, ein prächtiger Löwe".

Nach zahlreichen Adaptionen fürs Radio und Fernsehen war eine Leinwandversion dieses Kinderbuchklassikers längst überfällig, zumal eine, die Lewis' von Mythologie und christlicher Überzeugung geprägte Vorstellungskraft so bildmächtig zur Entfaltung bringt. Adamson kommt aus der Effektewerkstatt und drehte die "Shrek"-Trickfilme. Nun bedient er sich derselben computergraphischen Spitzentechnologie und landschaftlichen Schönheit Neuseelands, die schon die "Herr der Ringe"-Serie zu einer Augenweide machten, um den Fabelwesen des Königreichs Narnia Leben einzuhauchen.

Der verwunschene Wandschrank, der Einlaß in diese verschneite Wunderwelt gewährt, steht in einem alten Landhaus, wo die vier Pevensie-Kinder während des Londoner "Blitzkriegs" Zuflucht gefunden haben. Beim Versteckspiel verirrt sich Lucy, die Jüngste (Georgie Henley), nach Narnia. Ein frecher Faun (brillant: James McAvoy) lädt sie zum Tee ein und erzählt von der bösen Weißen Hexe (herrlich bedrohlich: Tilda Swinton), die einen hundertjährigen Winter über Narnia gebracht hat. Lucy und ihre Geschwister werden in den Kampf verwickelt, den der messianische Löwenkönig Aslan mit Liam Neesons Stimme und einer Armee von Zentauren, Faunen und anderen aus der griechischen Sagenwelt entliehenen Kreaturen gegen das Böse führt. Adamson bleibt dabei stets seinem Vorsatz treu, zu unterhalten statt zu predigen, so daß die Heilsbotschaft ähnlich wie in Lewis' Vorlage organisch aus der Handlung erwächst, ohne sie je zu überfrachten.

Überzeugend das Spiel der jungen Hauptdarsteller, allen voran Henley, ohne das die Bluescreen-Trickserei seelenlos bliebe. Einzig der in der Wirklichkeit handelnde Prolog strapaziert die Gutgläubigkeit des Publikums, so sehr wimmelt er von bildlichen und sprachlichen Klischees. Sobald die Kinder die Grenze nach Narnia überquert haben, gerät dies ebenso in Vergessenheit wie der unheilige Rummel, der jenseits der Kinos um einen Faun, eine Königin und einen prächtigen Löwen veranstaltet wird.

Die Pevensie-Geschwister in Narnia: C. S. Lewis' von Mythologie und christlichem Glauben geprägte Vorstellungskraft kommt zur Entfaltung

Foto: Jadis, die Weiße Hexe (Tilda Swinton), Zentauren: Am Anfang waren die Bilder, Lucy (Georgie Henley): Verschneite Wunderwelt


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