© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/05 09. Dezember 2005

CD: Klassik
Anrührend
Andreas Strittmatter

Aschenputtel ohne Pantoffel, o Himmel" stöhnte Théophile Gautier auf, nachdem Jacopo Ferretti sämtliches Schuhwerk ("dieses geniale und kokette Detail") aus seinem Libretto zu Gioachino Rossinis 1817 in Rom uraufgeführter "La Cenerentola" herausgeschrieben hatte. Im Vergleich zu manch anderer Version des Sujets deucht Rossinis Oper ohnehin etwas prosaisch geraten: Kein wundersamer Zauber, kein freundlicher Spuk, keine gute Fee - wie beispielswegen rund 80 Jahre später in Massenets "Cendrillon" restituiert - wirbelt durch das Szenario, statt dessen zieht ein als Diener verkleideter Philosoph und Prinzenerzieher im Hintergrund so lange die richtigen Fäden, bis dessen Schützling das Aschenputtel, sprich: Prinz Ramiro seine Angelina findet. Zu gutem Schluß und Ende erkennen sich die Liebenden nicht anhand passender Schuhgröße, sondern an einem "lächerlichen Armband" (Gautier).

Weht da nochmals der Geist der Aufklärung über die frühromantische Opernbühne? Immerhin ist Rossinis Strippenzieher Alidoro quasi das sympathischere Pendant zu Mozarts Don Alfonso, der in "Così fan tutte" die Melange aus Leidenschaft und Leutseligkeit in Sachen Liebe gnadenlos ad absurdum führt. Genau hier liegt der große Unterschied zwischen den beiden Bühnenphilosophen: Ebenjene Leidenschaft und Leutseligkeit wird von Alidoro nach Kräften befördert, am Ende gewinnt die wahrhafte Zuneigung, siegt das Gute, triumphiert die Güte: "La bontà in trionfo" lautet nicht von ungefähr der Untertitel von "La Cenerentola". Bei allem trocknen Esprit und Intellekt ist diese Oper mit ihren Zutaten aus der comédie larmoyante eben doch ein eher romantisches Manifest über die Möglichkeiten der Liebe. Vielleicht knüpfte Stendhal in seiner berühmten Biographie "Vie de Rossini" (trotz einer sehr reservierten Haltung in Sachen "Cenerentola") an ebendiesem Punkt an, wenn er bei aller "zurückgestoßenen Phantasie" doch feststellt, daß "die Musik auch ihr Ideal des Schönen hat" und daß "die Situationen, an die sie uns denken läßt, die Bilder, die sie unserer Vorstellungskraft aufdrängt" nicht "zu gewöhnlich" sein sollten.

Alles andere als "gewöhnlich" ist auch eine neue Einspielung, dirigiert von Rossini-Kenner Alberto Zedda, entstanden im Rahmen eines "Rossini-Weekend" des Festivals "Rossini in Wildbad" im November letzten Jahres und wohlfeil gehalten von der Niedrigpreisfirma Naxos. Im Zentrum des rundum quirlig geratenen Konzertmitschnittes steht mit Joyce DiDonato eine amerikanische Mezzosopranistin, die etwa mit Cecilia Bartoli über weite Strecken durchaus auf Augen- (oder besser: Gurgel-)Höhe intoniert, dabei in der tiefen Lage nicht ganz so füllige Reserven freisetzen kann, aber eindeutig durch ein wärmeres Timbre zu überzeugen vermag. Vor allem klingt DiDonato, im Vergleich mit der Studioaufnahme mit "La Bartoli" unter Riccardo Chailly, auf der Klangbühne wirklich wie ein Mensch von Fleisch und Blut.

Wo ihre italienische Kollegin als perfekte und in dieser Art auch einzigartige Koloraturschleuder staunen macht, rührt DiDonato, auch sie nicht koloraturarm, zudem unweigerlich ans Herz - das trifft natürlich vor allem auf das atemberaubende Rondo finale "Non più mesta" zu, in das sich der Mezzo aus Wildbad mit Leib und Seele stürzt.

Ein klangschöner und koloratursicherer Belcanto-Tenor (José Manuel Zapata als Prinz Ramiro) und ein faustdick großmäuliger Baß-Buffo (Bruno Practicò als des Aschenputtels Stiefvater Don Magnifico) mögen stellvertretend für ein Gesamtensemble stehen, das vom SWR Radio Orchester Kaiserlautern und dem Prager Kammerchor hochachtbar abgerundet wird.


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