© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/05 09. Dezember 2005

Schönheit des Vergänglichen
Horst Janssens Stilleben
Matthias Schultz

Gegen die Zeit gezeichnet" heißt eine Ausstellung mit Stilleben des vor zehn Jahren verstorbenen Hamburger Zeichners und Graphikers Horst Janssen, die derzeit in Oldenburg zu sehen ist. Etwa einhundert Exponate illustrieren die Faszination des Künstlers für die Botanik, aber auch für den unscheinbaren Alltag. Ob Gardinengleiter, Knöpfe, ein abgewetztes Radiergummi - für Janssen atmete jeder Gegenstand den Hauch der Vergänglichkeit, der es zu begegnen galt mit einer Verewigung auf Papier, dem Festhalten in der Kunst. So drückt sich auch in jedem seiner Werke die intensive Auseinandersetzung mit dem Tod aus.

Janssen lebte förmlich in seinen Stilleben, wie seine und die Fotos seiner zeitweiligen Gefährtin Elisabeth Sartorius belegen. In seinem festungsartig ausgebauten Blankeneser Haus türmten sich die verrottenden und von Spinnenweben und Staub überzogenen Relikte seiner Streifzüge durch die Umgebung. "Eine feste Burg" heißt zum Beispiel die Arbeit, auf der ein umgestürztes Wasserglas zu sehen ist, darunter eine tote Motte. Eine eindeutige Anspielung auf Martin Luthers Lied, bei der allerdings die letzte Gewißheit nicht von Gott, sondern von Freund Tannewetzel ausgeht, wie Janssen den Tod auch nannte. Denn das Leben betrachtete er als "den gemächlichen Gang des Sterbens", den es genau zu verfolgen und dokumentieren gilt.

Stellvertretend und ergänzend für den eigen Verfall schilderte er auf der Anfang 1981 entstandenen Meisterzeichnung "Tagebuch der Amaryllis" detailliert über einen Zeitraum von zwei Wochen und acht ausgewählten Stationen hinweg den Verfall einer prächtigen Blüte, genau und penibel festgehalten mit Datum und Uhrzeit. Er belegt damit seine Einbindung in die Kunstgeschichte und seine Verehrung der Alten Meister, die bereits im 17. Jahrhundert mit ihren Vanitas-Stilleben moralisierend darauf hingewiesen haben, daß alle Schönheit und aller Reichtum vergänglich sind. Doch hat Janssens Auseinandersetzung mit diesem Sujet nichts mehr mit der christlichen Intention zu tun, sondern mit einem eher hedonistischen Auskosten des Augenblicks. Er erweiterte zudem die Zeichenkunst des 20. Jahrhunderts um die ungewöhnliche Umkehr der traditionellen Auffassung des Motivs, wenn er statt der Hauptsache den Hintergrund fein ausarbeitete oder auch die frische Blüte nur skizzenhaft andeutete, die welke Pracht hingegen gerne genüßlich ausmalte.

Der Tod war für Janssen Trost und Zuflucht, kein Ende, sondern nur Übergang in ein neues Stadium. So sind auch vertrocknende Weintrauben für ihn eben junge Rosinen geworden. Diese gestaltete er möglichst anschaulich, um seiner Maxime einer guten Zeichnung zu genügen, die sich dadurch auszeichne, daß sie mit durchschaubaren Mitteln täuscht. Die nachahmende Darstellung des Gegenständlichen, des Beiwerks war für Janssen die Inbesitznahme der Umwelt und Selbstzweck genug.

Dabei wurde das Stilleben lange Zeit in der Kunstgeschichte als die untergeordnete Disziplin der "Imitatio" verstanden, als reines Hilfsmittel, das zum Beispiel der Königsdisziplin der "Inventio", der Schilderung von vorstellbaren Szenen wie Bibelstellen, zu dienen hatte. Doch gerade dieser Umstand ermöglichte den Künstlern, neue Wege zu beschreiten. Janssen mochte dabei zwar nicht der Moderne mit ihrer Abstraktion und Aufhebung der Zentralperspektive mehr folgen, doch bereicherte er auf seine Art die Kunst um ein paar feine Nuancen.

Die Ausstellung ist bis zum 12. März 2006 im Oldenburger Horst-Janssen-Museum, Am Stadtmuseum 4-8 täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Der Ausstellungskatalog mit 140 Seiten kostet 16 Euro.


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