© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/05 16. Dezember 2005

PRO&CONTRA
Handelshemmnisse der EU im Agrarsektor abbauen?
Mossane Ndour Gning / Joseph Daul

Die Landwirtschaft gehört zu den ältesten und am häufigsten ausgeübten Tätigkeiten der Menschen in Afrika. Für die meisten Entwicklungsländer beruht die Wirtschaft auf dem Agrarsektor. Gegenwärtig ist der rechtliche Rahmen des internationalen Handels diesen Ländern leider abträglich. Dadurch wird die schon bestehende Kluft zwischen den entwickelten Ländern und den sogenannten nicht-entwickelten Ländern noch weiter vergrößert - die meisten davon sind afrikanische Länder.

Der Agrar-Handel, der jedes Jahr weltweit ein Volumen von 674 Milliarden US-Dollar beträgt, kommt nur einer Minderheit, nämlich den entwickelten Ländern zugute. Die Entwicklungsländer jedoch, in denen 98 Prozent aller Landwirte der Welt leben, machen nur ein Drittel des gesamten Welthandels aus, im Falle Afrikas sind es sogar nur 4 Prozent. In Westafrika kommen 35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus der Landwirtschaft, welche wiederum 15,3 Prozent der Exporteinnahmen aus Produkten und Diensten stellt. Es ist eine allgemeine Feststellung, daß die Einfuhrbeschränkungen und Importzölle, die die Europäische Union den Nicht-EU-Ländern auferlegt, und die Beihilfen, die sie gleichzeitig ihren landwirtschaftlichen Erzeugern und Betrieben verschafft, eine konstante Ursache für die Schwächung der ärmsten Länder sind. Die reichen Länder, die die Spielregeln bestimmen, werden dadurch gestärkt. Vor diesem Hintergrund erscheinen Argumente, die beweisen wollen, daß sich Vorteile aus diesem Tatbestand ergeben könnten, nicht glaubwürdig. Die heutigen Überlegungen müssen die Veränderung der Regeln des internationalen Handels zum Ziel haben, weil diese die armen Länder in einem Zustand der Abhängigkeit belassen. Alle müssen versuchen, eine befriedigende makroökonomische Umgebung zu schaffen, die es jedem Bauern erlauben wird, einen gerechten Vorteil aus dem Welthandel zu ziehen.

 

Mossane Ndour Gning ist verantwortlich für den gerechten Handel bei der Organisation Agrecol Afrika in Thiès, Senegal.

 

 

Die Frage der Subventionen, die die Europäische Gemeinschaft den europäischen Landwirten gibt, bedarf einer angemesseneren Behandlung als eine bloße Polemik über die Geldsummen, die diese Landwirte erhalten. Sie sollte eher zu einer echten Diskussion über die Rolle der Landwirtschaft in unseren Gesellschaften und über die Stellung der Landwirte führen.

Die gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union stellt 45 Prozent des ganzen EU-Haushaltes. Diese Feststellung kann auf den ersten Blick schockieren. Man darf aber nicht vergessen, daß die EU-Agrarpolitik die erste gemeinsam betriebene Politik in der Europäischen Gemeinschaft gewesen ist. Sie bleibt der wichtigste Bereich für die Zusammenarbeit zwischen den EU-Mitgliedern. Sie betrifft nicht nur die Landwirte, sondern auch alle Tätigkeiten und Arbeitsplätze, die mit der Landwirtschaft verbunden sind: die Unternehmen, die landwirtschaftliche Maschinen herstellen, sowie die Nahrungsmittelindustrien und Dienste, die die Vermarktung der Produkte erlauben. Was die Europäer wollen, ist eine Landwirtschaft, die an der Raumordnung teilhat, die die Umwelt achtet und die den Zugang zu gesunden Lebensmitteln gewährleistet.

Die Gegner der gemeinsamen EU-Agrarpolitik - der den EU-Landwirten zugeteilten Subventionen und der Einfuhrzölle für Produkte aus nicht-europäischen Ländern - unterstreichen zwar die negativen Auswirkungen dieser gemeinsamen Regeln auf die Entwicklungsländer. Sie vergessen dabei aber zu schnell, daß Europa bereits jetzt der wichtigste Importeur von aus den Entwicklungsländern stammenden landwirtschaftlichen Produkten ist. Aus einer erneuten Liberalisierung des Zugangs dieser Produkte auf den europäischen Markt würden jedoch nicht die Landwirte der ärmsten Länder, sondern die großen landwirtschaftlichen Betriebe Brasiliens ihren Nutzen ziehen.

 

Joseph Daul ist französischer EU-Abgeordneter und Vorsitzender des Arbeitsausschusses für Landwirtschaft im EU-Parlament in Brüssel.


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