© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/05 16. Dezember 2005

Zweifel am Wahlergebnis
Bundestagswahl: Einspruch wegen fehlerhafter Wählerverzeichnisse / Problem der illegalen Doppelstaatsbürgerschaft von Deutsch-Türken
Marcus Schmidt

Da vermutlich Tausende türkische Staatsbürger bei der Bundestagswahl ihre Stimme abgegeben haben, droht dem Wahlergebnis jetzt die Annullierung: Der Wahlprüfungsausschuß des Bundestages muß über einen Einspruch gegen das Wahlergebnis wegen fehlerhafter Wählerlisten entscheiden.

Bereits vor der Wahl vom 18. September hatten die sogenannten "Scheindeutschen" für Wirbel gesorgt. Es handelt sich dabei um in Deutschland eingebürgerte Türken, die nach dem Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft ihren türkischen Paß von den Behörden ihres Heimatlandes wieder zurückerhalten haben. Um Doppelstaatsbürgerschaften zu verhindern, ist dies nach dem seit Januar 2000 geltenden neuen deutschen Staatsbürgerschaftsrecht illegal. Die Betroffenen verlieren daher automatisch ihre deutsche Staatsbürgerschaft, wenn sie ihre alte auf Antrag zurückerhalten.

Deutsche Behörden tappen im dunkeln

Diese Regelung hat für die deutschen Wählerregister gravierende Folgen: In ihnen werden die vermeintlichen Neubürger weiterhin als Wahlberechtigte geführt, obwohl sie dem Gesetz nach längst wieder Ausländer sind, denn die deutschen Behörden erfahren von der illegalen Doppelstaatsbürgerschaft im Regelfall nichts. In den Wochen vor der Wahl hatten die Behörden daher in vielen Bundesländern eingebürgerte Türken angeschrieben und von ihnen Auskunft darüber verlangt, ob sie ihre türkische Staatsbürgerschaft wieder angenommen haben (JF 24/05). Das Problem hierbei: Die türkischen Behörden weigern sich, darüber Auskunft zu geben, wer von ihren Landsleuten wieder eingebürgert worden ist. Die Angaben der angeschriebenen Deutsch-Türken können daher nicht auf ihre Richtigkeit überprüft werden - und die deutschen Behörden tappen weitgehend im dunkeln. Niemand weiß genau, wie viele Scheindeutsche in den Wählerlisten stehen und ihre Stimme abgegeben haben. Nach Schätzungen der Bundesregierung, die sich wiederum auf Zahlen aus der Türkei berufen, sind rund 50.000 Deutsch-Türken betroffen. Doch die tatsächliche Zahl könnte weit darüber liegen.

Der Mannheimer Rechtsanwalt Wolfgang Philipp hat daher gegen die "Wertung" der Bundestagswahl Einspruch eingelegt, mit dem Ziel, diese für ungültig erklären zu lassen, da "die Richtigkeit sämtlicher Wählerverzeichnisse in Deutschland nicht gewährleistet war und auch weiterhin nicht gewährleistet ist". Seiner Ansicht nach zeugt der Wiederaufnahme der alten Staatsbürgerschaft gegen den Willen des deutschen Gesetzgebers davon, daß es diesen Bürgern vor allem darum gehe, das Stimmrecht zu erwerben. "Innerlich bleiben solche Personen Türken, nutzen aber die Gelegenheit, türkische Interessen durch Beteiligung an Wahlen auf allen Ebenen in Deutschland durchzusetzen und damit auch Wünschen des türkischen Staates nachzukommen", vermutet Philipp.

Als besonders problematisch sieht Philipp in diesem Zusammenhang die hohe Fluktuation innerhalb der in Deutschland lebenden 2,5 Millionen Türken an. Vor allem ältere Türken wanderten in die Türkei zurück, wobei sie ihre deutsche Staatsbürgerschaft "mitnehmen". Die in ihre Heimat zurückkehrenden Deutsch-Türken hätten als "Auslandsdeutsche" grundsätzlich weiterhin das Wahlrecht. Philipp vermutet, daß die Mehrheit von ihnen solche Parteien und Kandidaten wählen, die türkische Interessen vertreten. "Wenn im Jahr 2002 rechtmäßig abgestimmt worden wäre, so hätte Deutschland möglicherweise auch in der Frage des Beitritts der Türkei zur EU eine andere Position eingenommen als die Regierung Schröder/Fischer", schreibt Philipp in seiner Begründung. Nach der Bundestagswahl 2002 konnte sich die rot-grüne Regierung auf eine denkbar knappe Mehrheit von 6.000 Stimmen stützen. Da Umfragen zufolge türkischstämmige Wähler mehrheitlich den einwanderungsfreundlicheren Parteien SPD und Grünen zuneigen, liegt die Vermutung nahe, daß die Wahl von Türken entschieden wurde.

Abgeordnete entscheiden über ihr eigenes Mandat

"Eine Aufhebung der Wahl will ich nicht unbedingt", sagte Philipp der JUNGEN FREIHEIT. Er wolle vor allem erreichen, daß der Bundestag durch eine Gesetzesänderung für die Zukunft ausschließt, daß Scheindeutsche Einfluß auf das Wahlergebnis nehmen können. Mit der Bundestagswahl hat sich das Problem nicht erledigt: Bereits am 26. März kommenden Jahres wird in Baden-Württemberg ein neuer Landtag gewählt, ohne daß Klarheit über die Rechtmäßigkeit der Wählerlisten besteht.

Zur Lösung des Problems schlägt Philipp vor, allen eingebürgerten Türken vorerst das Wahlrecht zu entziehen. Dieses dürften die Betroffenen erst zurückerhalten, wenn sie eine vom türkischen Staat ausgestellte Erklärung vorweisen können, die ihnen bescheinigt, daß sie nicht türkische Staatsbürger sind.

Philipp beurteilt die Erfolgsaussichten seines und der fast 200 weiteren Einsprüche eher skeptisch und glaubt nicht an eine schnelle Bearbeitung. Schließlich agierten die Abgeordneten als Richter in eigener Sache und entscheiden auch über den Fortbestand ihres eigenen Mandates.


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