© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/05 16. Dezember 2005

Der angekündigte Rückschlag
Welthandelsorganisation: Die WTO-Ministerkonferenz soll mehr Barrieren abbauen / Hauptstreitpunkt bleibt die Agrarpolitik
Jean-Marie Dumont

Deutschland ist Exportweltmeister, deswegen möchten wir so viele Zölle und Regelungen wie möglich abschaffen", erklärte der neue Bundeswirtschaftsminister Michael Glos am Dienstag vor Beginn der 6. Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation WTO. Dies sei wichtig für die Sicherung des Wohlstandes, der durch den weltweiten Handel entstehe, so der CSU-Politiker. Dazu müßten "sich alle bewegen, damit aus dem bisherigen taktischen Geplänkel, bei dem man Angebote wie Steine in das Wasser wirft, wirkliche Verhandlungen werden", meinte WTO-Generaldirektor Pascal Lamy vergangene Woche.

Landwirtschaftsminister Horst Seehofer (CSU), der mit Glos und Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) zu den WTO-Gesprächen in Hongkong weilt, ist allerdings skeptisch. Die EU habe bei der Liberalisierung des Handels und des Abbaus von Subventionen schon Vorleistungen gebracht, etwa im Bereich Zuckermarkt - mit dramatischen Folgen für deutsche Bauern (JF 45/05 und 49/05). Nun müßten sich Länder wie die USA oder Brasilien bewegen. Gerade die USA neigten dazu, bei sich nicht umzusetzen, was sie selbst von anderen verlangten, kritisierte Seehofer.

Die Vertreter der 149 Mitgliedsländer der 1995 geschaffenen Institution wollen bis zum 18. Dezember erneut "die Welthandelsregeln verbessern", wie es in den Statuten der WTO heißt. Theoretische Grundlage dafür ist im Prinzip die von dem britischen Ökonomen David Ricardo schon 1817 entwickelte Theorie der komparativen Kostenvorteile: Freihandel lohne sich für alle Volkswirtschaften - selbst für jene, die gegenüber anderen Ländern bei allen Gütern Kostennachteile haben.

Da aber alle Zölle, Wettbewerbsbeschränkungen und Marktzutrittsbarrieren nicht von heute auf morgen fallen können - und nicht alle Regierungen Ricardos Ansatz uneingeschränkt teilen -, geht die WTO den Weg der kleinen Schritte. Die jetzige Ministerkonferenz ist daher vor allem dazu bestimmt, die Verhandlungsergebnisse von 2001 in Doha (Katar) umzusetzen. Bislang sind die Ergebnisse der "Doha-Runde" nicht verwirklicht worden, unter anderem wegen des Scheiterns der Ministerkonferenz in Cancún (Mexiko). Sie scheiterte 2004 an den Forderungen der armen und der Unbeugsamkeit der reichen Länder.

In Cancún war Hauptstreitpunkt die Agrarfrage - in Hongkong ist dies erneut der Fall. Denn die "reichen" Länder schützen ihre Märkte zweifach: einerseits durch Zölle und Quoten, so daß die Entwicklungsländer ihre Produkte nicht frei vermarkten können. Und andererseits durch direkte und indirekte Subventionen, damit die Landwirte in der EU oder den USA trotz der Billigkonkurrenz südlicher Länder weiter existieren können.

Dieser neue Protektionismus schützt aber meist nicht mehr einzelne Nationen, wie es in früheren Jahrhunderten der Fall war, sondern größere Räume wie die EU oder die amerikanische Nafta. Der Präsident des Agrararbeitskreises im EU-Parlament verteidigte gegenüber der JF Handelsbarrieren: Den EU-Bauern müsse nicht nur aus ökonomischen, sondern auch aus "humanitären" Gründen geholfen werden. Landwirtschaft habe auch mit Kultur zu tun: "Sie hat an der Raumordnung teil und dient dazu, die Umwelt zu bewahren und den Zugang zu gesunden Lebensmitteln zu gewährleisten", so Joseph Daul von der französischen Regierungspartei UMP.

Mit Traktoren gegen den "rücksichtslosen Freihandel"

Dies wird von den Entwicklungsländer wahrscheinlich nicht akzeptiert werden. Deshalb haben die USA und die EU schon Wochen vor der WTO-Konferenz neue Vorschläge zum Abbau von Hemmnissen im Agrarhandel gemacht. Bei einem Treffen der EU am 10. Oktober mit den USA, Australien, Brasilien und Indien in Zürich schlug der US-Handelsbeauftragte Robert Portman vor, daß alle entwickelten Länder ihre Einfuhrzölle auf Agrarprodukte in den nächsten fünf Jahren um bis zu 90 Prozent senken.

EU-Handelskommissar Peter Mandelson begrüßte diesen Vorschlag zunächst. Der britische Labour-Politiker kündigte an, die EU-Hilfen für die Landwirtschaft um 70 Prozent und die Einfuhrzölle für Agrarprodukte um 50 Prozent senken zu wollen. Das ging Frankreich und zwölf anderen EU-Staaten, die von den Subventionen besonders profitieren, zu weit. Daher ruderte Mandelson in Brüssel zurück: "Ich habe keinen Zweifel, daß wir die Unterstützung der Mitgliedstaaten verlieren würden, falls wir über ein neues Angebot bei Agrarzöllen nachdenken sollten."

Bei den Baumwoll-Subventionen wollen die USA hingegen ihre Farmer vor Billigwolle aus westafrikanischen Staaten schützen. Brasilien und andere "G-20-Staaten" (die Länder, die sich bei der Cancún-Konferenz gegen die Agrarsubventionen und Zölle verbündet haben) kritisierten in Vorfeld der WTO-Konferenz ihrerseits die Kompromißangebote der EU und der USA. Brasilien hat seinerseits kein konkretes Angebot für einen freieren Zugang von Industriegütern gemacht, was von Europa als Ausgleich einer eventuellen Senkung der EU-Zölle und Subventionen gefordert wird. Zudem ist die EU eher zu Zugeständnissen gegenüber der ärmsten Entwicklungsländer bereit als gegenüber dem großen "Schwellenland" Brasilien.

Ein Scheitern des Hongkonger Ministertreffens wäre nach Ansicht von Kommissar Mandelson eine große Niederlage für das multilaterale Handelssystem. Das sehen aber nicht alle Europäer so: Vor zwei Wochen blockierten über 1.500 meist konservative Bauern aus Deutschland und Frankreich die Europabrücke zwischen Straßburg und Kehl mit Traktoren und brennenden Holzpaletten, um gegen "rücksichtslosen Freihandel" zu protestieren.

Organisierter Widerstand kommt allerdings meist von links: 150 soziale Bewegungen, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen wie Attac haben die WTO erneut scharf kritisiert und sogar einen Stopp der Verhandlungen gefordert. Indien und Brasilien waren schon vor dem Beginn der Konferenz von ihrem Scheitern überzeugt. Und Deutschland ist auch trotz aller Regulierungen Exportweltmeister geworden.

Fotos: Bauernproteste auf Europabrücke in Kehl: "Den Zugang zu gesunden Lebensmitteln zu gewährleisten", Deutsche Exporte: Zölle und Regelungen möglichst abschaffen


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