© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/05 16. Dezember 2005

Mütter weg vom Herd
Elterngeld: Ursula von der Leyen strebt keine familienpolitische Kehrtwende an
Ellen Kositza

In gewisser Weise stellt Familienministerin Ursula von der Leyen ein mustergültiges Rollenvorbild für ihre Geschlechtsgenossinnen dar. Das läßt ihre Politik auf einem lebendigen Beweis gründen. Eine Frau wie von der Leyen, 1A-Karriere trotz sieben Kindern, hat die wünschbare Quadratur des Kreises beispielhaft vollzogen. Möglichst hohe Fertilität, verbunden mit beruflich hochqualifiziertem Engagement: Dieses Exempel ist hier leibhaftig geworden, inklusive geglückter - weil finanziell reichlich unterfütterter - Delegierung der Erziehungsaufgaben, flankiert auch durch einen partiellen Wechsel der Geschlechterrollen.

Beizeiten war anzunehmen, daß jenes Superweib keine familienpolitische Kehrtwende vollbringen, eine solche nicht einmal anstreben würde. Daß sie nicht die althergebrachten - vulgo: "überkommenen" - Familienmuster stärken würde, sondern die sozialdemokratische Wunderwaffe der "Vereinbarkeit von Familie und Beruf" als Allheilmittel gegen Geburtenrückgang und familiäre Benachteiligung als Mantra in Mund und Programm führt, hatte bereits der Wahlkampf gezeigt.

Das nun unter von der Leyens Ägide ab 2007 zur Auszahlung beschlossene "Elterngeld" entspricht in Grundzügen den Plänen ihrer SPD-Vorgängerin im Amte. Es bedeutet in einem Punkt einen deutlichen Fortschritt. Die alte "Einkommensabhängigkeit" des heutigen Erziehungsgeldes, dessen Bezug an einen knappen Arbeitsverdienst (beispielsweise für ein Paar ab dem siebtem Lebensmonat des Kindes ein Jahreseinkommen von 16.500 Euro) gekoppelt ist, wird nun ins Positive gewendet. Statt 300 Euro monatlich für die Dauer von zwei Jahren - wohlgemerkt nur Geringverdienern vorbehalten - soll der Sockelbetrag der Auszahlung nun auf 750 Euro für ein Jahr erhöht werden und je nach vorher erzieltem Einkommen auf bis zu 1.800 Euro steigen. Mit einer Summe von zwei Dritteln der Höhe des vorherigen Erwerbsgehaltes soll die zu Hause bleibende Person nun rechnen dürfen.

Das würde die finanzielle Förderung von Elternschaft zumindest von einem schwerwiegenden Ideologem befreien: von der bislang geltenden Auffassung der Familienpolitik als bloßer Sozialpolitik, die Normalverdienende von einer Ausgleichszahlung ausgeschlossen hatte. Tüchtige Eltern, die bislang bei einer "Babypause" leer ausgehen, dürfen künftig mit einer Honorierung ihrer Erziehungsleistung rechnen. Das ist ein gerechter und längst überfälliger Schritt.

In zwei Punkten stehen die Pläne von der Leyens jedoch unter Beschuß, einmal zuvörderst koalitionsintern, zum anderen aus generellen Erwägungen. Beide berühren den ideologischen Ballast, der die neue Regelung begleitet. Da ist zunächst die strittige Frage, ob als Maßstab des "vorherigen Einkommens" das Familieneinkommen oder das Gehalt allein desjenigen angenommen werden soll, der betreuend zu Hause bleibt. Während die CDU für das erstere Modell plädiert, streben SPD sowie die oppositionellen Grünen das Gehalt des pausierenden Elternteils als Berechnungsgrundlage an.

Dies würde zwar eine geminderte Leistung zugunsten der Familie bedeuten, ist unter dem Gesichtspunkt der weltanschaulichen Ausrichtung moderner, geschlechtsneutraler Familienpolitik aber die konsequentere Herangehensweise: Väter an den Wickeltisch und in die Krabbelgruppe, lautet die Devise, die durch erhöhten finanziellen Anreiz schmackhaft gemacht werden soll. Der Mann als Hauptverdiener ist hier die Zielgruppe: Sein berufliches Aussetzen wäre die lukrativere Wahl für die Mehrzahl der Familien.

In dieselbe Kerbe schlägt auch der zweite strittige Punkt des Koalitionsplanes: Die Bewilligung des Elterngeldes soll sich - nach skandinavischem Vorbild - auf zehn Monate reduzieren, wenn nicht beide Elternteile jeweils mindestens zwei Monate beruflich pausieren.

Zunächst sollte man der Initiative, Männer per finanziellem Bonus/Malus-System verstärkt in die Kinderbetreuung und -erziehung einzubinden, neben den sicher zu unterstellenden ideologisch-egalitären Zielen auch eine gute Absicht nicht absprechen: Seit der industriellen Revolution hat sich der Mann als Büroarbeiter, Zahlenjongleur und Aktenverwalter aus dem elementaren Gesichtskreis der Familie entfernt.

Der "Broterwerb" und somit der aus außerhäuslicher Arbeit resultierende Beitrag zur existentiellen Sicherung der Familie ist via monetärem Erwerbseinkommen eine abstrakte Leistung geworden, für ein Kind - anders bei den vorindustriellen Bauern- oder Handwerksfamilien - nicht konkret greifbar. Parallel zur gegenständlichen Distanz ist auch die räumliche zwischen Heim und Arbeitsplatz gewachsen. Es ist so klar wie bedauernswert, daß der Vater innerfamiliär wie gesellschaftlich - diese Sachverhalte gehen Hand in Hand - zu einem missing link geworden ist.

Nur, wem dürfte er entwicklungspsychologisch eher fehlen, der Vater: dem gerade abgestillten Säugling im Alter von zehn Monaten - oder nicht vielmehr dem Schulkind, allerspätestens im vorpubertären Alter, in einer Zeit also, wo nach geltendem Vorbild längst beide Elternteile in einen Arbeitsmarkt integriert zu sein haben, der dann wiederum an der Familie frißt, wo weder Elternzeit noch der alte "Erziehungsurlaub" mehr greifen?

Und was, wenn die mangelnde Lust an Elternschaft gar nicht in der weithin angenommenen Chancenungleichheit der Frauen läge, sondern weit tiefer in einem umgekehrten Grund wurzelte: in einer sukzessive fortschreitenden Rollenverunsicherung von Mann und Frau? Wo sowohl das reine Hausfrauendasein als auch der schwangerschaftsgymnastikverweigernde Mann als hoffnungslose gesellschaftliche Anachronismen - bedauernswert einerseits, verachtenswert andererseits - gelten, können tradierte und über Jahrhunderte in der Praxis erfolgreiche Rollenmuster nur als widriger biologischer Bodensatz begriffen werden. Dessen nachhaltige Ausräumung gestaltet sich schwierig, wo das Gebären weiterhin Privileg der Frau ist und es für die häusliche Brutpflege - spätestens ab nachmittags um vier - schließlich irgendeinen Zuständigen geben muß.

Von der Leyen beantwortete juristische Zweifel und gesellschaftspolitische Kritik an ihrem "Väter an den Wickeltisch"-Modell mit dem Hinweis auf die Freiheit, die jeder Familie offenlasse, ob sie das neue Elterngeld beziehen wolle. Die (größere) Freiheit ohne Rollentauschzwang jedoch wäre einen Schritt vorher bereits gegeben: indem man der Mutter - wie gehabt - selbstverständlich die Möglichkeit einräumt, die Elternzeit teilweise oder ganz an den Vater abzugeben. Es heißt, der Frau innerhalb der Familie die Mündigkeit abzusprechen, wenn man politischen Druck für nötig hält, Lohnarbeitsinteressen der Frau zu befördern.

Foto: Familienministerin von der Leyen mit ihren Kindern Egmont, Victoria, Donata (v.l.n.r.) und Hund Milou: Leibhaftige Quadratur des Kreises


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