© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/05 16. Dezember 2005

Koalitionskompatibel
Schriftsteller: Günter Grass gründet eine Marzipanschweinbande
Richard Stoltz

Namen sind keineswegs Schall und Rauch. Es war deshalb sehr berechtigt, daß vorige Woche in Lübeck bei der ersten Pressekonferenz, die eine von Günter Grass (78) frisch ins Leben gerufene Schriftstellervereinigung abhielt, Reporter danach fragten, wie die neue Gruppe denn heißen solle. "Lübeck 05"? Oder wie sonst?

Man beschied die Fragenden jedoch ungnädig. Grass meinte, ein Name sei völlig unwichtig. Bitte, wenn man unbedingt einen haben wolle, könne man ja - dem genius loci der Marzipan- und Gründerstadt Lübeck huldigend - von der "Marzipanschweinbande" sprechen. Der Vorschlag war natürlich spaßig gemeint. Dabei war er ausgezeichnet, vielleicht der beste Einfall, den der ansonsten und vor allem kulinarisch maßlos überschätzte Grass in den letzten Jahren gehabt hat. Marzipan ist eine ebenso schmackhafte wie knetbare Masse aus Zucker, Rosenwasser und Mandelkern, aus der man faktisch alles formen kann: Heinzelmännchen, Liebesherzen, Rennautos, Politikerstatuen, wirklich alles. Geistiges Marzipan ist genau das, was uns bisher noch gefehlt hat.

Schriftsteller, die als Marzipanjungs firmierten, würden damit zeigen, daß sie ungeheuer fungibel sind - und ungeheuer harmlos. Ihre Werke regen niemanden auf, sättigen schnell. Im Übermaß genossen, greifen sie die Zähne der Konsumenten an und machen dick. An sich genau das Richtige in Zeiten der Großen Koalition.

Aber vielleicht wäre es doch besser, man nähme den ursprünglichen Arbeitstitel "Lübeck 05", zumal man sich im nächsten Jahr erneut in der Hansestadt treffen will. Der klingt zwar ein bißchen nach Provinz, nach Fußball-Regionalverein, läßt aber auch an drahtige, ehrgeizige junge Kerle denken, die nach oben kommen wollen und kräftigen Biß haben. Ball im Tor ist auf jeden Fall besser als Glücksschwein im Lübecker Marzipanmuseum.


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