© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/05 16. Dezember 2005

Satansbraten vor dem Herrn
Der Mythos namens Cash: Nuanciertes Porträt einer authentischen Stimme Amerikas
Silke Lührmann

Nach eigenem Bekunden empfahl der Musikjournalist Steve Turner sich Johnny Cash als Biograph, indem er ihm sein Buch "Hungry for Heaven" (London, 1988) gab, das den Einfluß religiöser Überzeugung auf die Geschichte des Rock'n'Roll aufzeigt. Nach der Lektüre habe die lebende Legende bekannt, dort Dinge erfahren zu haben, "die ich nicht wußte, über Leute, die ich mein Leben lang kenne". Nun hofft Turner, "daß er etwas Ähnliches sagen würde, wenn er 'Ein Mann namens Cash' lesen könnte".

Um dieses vollmundige Versprechen einzulösen, macht sich Turner daran, den im Titel beschworenen Mythos vom braven Johnny und dem Satansbraten Cash zu dekonstruieren. Trotz aller Ehrfurcht kennt er keine Scheu, dessen eigenen Schilderungen seiner "wilden Zeiten" zu widersprechen. Vielmehr sei Cash schon während seines Militärdienstes als Abhörspezialist am US-Stützpunkt Landsberg durch "seine mäßige Lebensweise und friedliebende Natur" aufgefallen. Daß er später auf Tournee regelmäßig Hotelzimmer zerlegte - hierin "Bands wie The Who oder Led Zeppelin um mindestens zehn Jahre voraus" -, erzählt Turner geradezu genüßlich, nahm doch bei solchen "aufwendigen Jungenstreichen" außer dem Mobiliar nur der Ruf der Country-Musik Schaden.

Herausgekommen ist nicht etwa "Ein Christ namens Cash", sondern - Schicht für Schicht mit viel Sachkenntnis, Einfühlungsvermögen, Humor und Leidenschaft zu Papier gebracht - das Porträt eines Menschen, der weder so gut war, wie er gerne vor seinen Gott getreten wäre, noch aber so schlecht, wie er sich seiner Mitwelt zu präsentieren pflegte. Im Rock'n'Roll, der Zeloten als Teufelswerk gilt, hört Turner Erlösungssehnsucht. Er rückt den künstlerischen Schaffens- in die Nähe des göttlichen Schöpfungsaktes und in seinen Mittelpunkt immer wieder die Gewissensqual, das eigene Tun für Sünde zu halten, ohne davon lassen zu wollen.

Liebhabern seiner Musik sind die Eckdaten sattsam bekannt: J. R. Cash wurde 1932 in die Depression hineingeboren und wuchs als Sohn eines Baumwollfarmers in Arkansas auf. Er starb am 12. September 2003, vier Monate nach dem Tod seiner Frau June Carter Cash, die nicht nur bei Turner als Muse, Schutzengel und Liebe seines Lebens in einem auftritt. 1955 stand er mit Elvis auf der Bühne, 39 Jahre später begeisterte er die Enkelgeneration beim Glastonbury-Festival in Südengland.

Dazwischen lagen neben den Höhen und Tiefen eines Musikerlebens - über hundert Singles und siebzig Alben, gescheiterte erste Ehe, eigene Fernsehshow, Verhaftungen wegen Trunkenheit und Drogenbesitzes, Konzerte im Staatsgefängnis San Quentin und in Richard Nixons Weißem Haus - mehrere Taufen im Jordan, ein Theologiestudium, die jahrelange Freundschaft mit Fernsehprediger Billy Graham. Auf jede Erweckung folgt rasch das böse Erwachen eines erneuten Rückfalls in die Amphetamin-Sucht.

Die Wiederauferstehung des zeitweiligen Ladenhüters als angesagte Popkultur-Ikone Anfang der 1990er verdankte er einem anderen Ausnahmetalent, dem Rap- und Heavy-Metal-Produzenten Rick Rubin, der ihn ermunterte, Akustikversionen von Songs einzuspielen, die er liebte: traditionelles Liedgut, Gospel, Country, aber auch Stücke wie "The Beast in Me" des New-Wave-Musikers Nick Lowe. Die Frucht ihrer gemeinsamen Liebesmüh, von "American Recordings" bis zum postum veröffentlichten "Unearthed", wurde zum Vermächtnis des Mannes in Schwarz.

Wer mit der Bibel wenig anfangen kann, sollte sich nicht scheuen, dieses Buch zur Hand zu nehmen - auch in Vorfreude auf den deutschen Kinostart von James Mangolds Film "Walk the Line" am 2. Februar. Wer für Rockmusik nichts übrig hat, möge es meiden wie der Teufel das Weihwasser. Denn Turners Liebe zu letzterer spricht aus jeder Zeile, während er seinen Glauben keinem Leser aufdrängt.

Steve Turner: Ein Mann namens Cash. Die autorisierte Biographie. Johannis Verlag, Lahr 2005, geb., Abb., 384 Seiten, 22 Euro

Foto: Johnny Cash mit seiner Ehefrau June in London (1968): Muse, Schutzengel und Liebe seines Lebens


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