© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/05 16. Dezember 2005

Die neuen Reaktionäre
Finkielkraut löst Streit aus
Jean-Marie Dumont

Nach den Unruhen in den französischen Vorstädten geht die Debatte unter Pariser Intellektuellen weiter. "In Frankreich möchten sie wirklich diese Unruhen auf ihre soziale Dimension einschränken. Sie möchten sie sich als Aufstand von Jugendlichen der Vorstädte gegen ihre Situation, gegen die Diskriminierung, unter der sie leiden, gegen die Arbeitslosigkeit vorstellen. Das Problem ist, daß viele dieser Jugendlichen Schwarze oder Araber sind, mit einer moslemischen Identität. In Frankreich gibt es andere Einwanderer, die in einer schwierigeren Lage leben - Chinesen, Vietnamesen, Portugiesen -, und sie nehmen an diesen Unruhen nicht teil. Daher handelt es sich deutlich um eine ethnisch-religiöse Revolte."

So äußerte sich der französische Philosoph Alain Finkielkraut Mitte November in einem Interview mit der liberalen israelischen Tageszeitung Haaretz. Nach Helène Carrère d'Encausse (JF 05/51) löste der Philosophie-Professor an der sehr elitären Ecole polytechnique damit eine heftige Kontroverse aus. Nachdem Le Monde dieses Interview auszugsweise zitiert hat, wurde er in den Zeitungen scharf kritisiert und bezichtigt, einen "unglaublichen Rassismus" zu fördern, so der Generalsekretär der linken französischen Bewegung gegen den Rassismus und für die Freundschaft zwischen den Ländern (MRAP).

"Wenn ein Araber eine Schule in Brand steckt", sagt Finkielkraut, dessen Vater, ein Lederwarenhändler polnisch-jüdischer Abstammung, aus Frankreich nach Auschwitz deportiert wurde, "nennt man das Rebellion. Wenn ein Weißer es macht, ist es Faschismus." Für ihn sei der "Krieg gegen den Rassismus", der ursprünglich ein "rühmlicher Kampf" gewesen sei, allmählich dabei, sich in eine "abscheulich falsche Ideologie umzuwandeln". Man habe nicht das Recht zu sagen, daß es bei manchen Leuten Haß auf Frankreich und seine jüdisch-christliche Tradition oder auf die westliche Welt gebe. "Dieser Antirassismus wird für das 21. Jahrhundert das sein, was der Kommunismus für das 20. Jahrhundert gewesen ist. Eine Quelle von Gewalt", so Finkielkraut.

In dem liberalen Wochenmagazin Le Point stellte die jüdische Publizistin Elisabeth Levy Reaktionen von Kritikern und Verteidigern vor und verteidigte Finkielkraut. Viele Intellektuelle könnten nicht mehr "zwischen der Kritik an einem Gedanken und einer Kriminalisierung jeder abweichenden Meinung unterscheiden".

Für das Magazin Nouvel Observateur sind Finkielkraut, Bernard-Henri Levy und andere Intellektuelle nichts weiter als nouveaux réactionnaires. Der Ausdruck stammt aus einem Buch von Daniel Lindenberg, der so eine Gruppe von Intellektuellen bezeichnet, die den Ergebnissen der 68er-Postulate kritisch gegenüberstehen. Diese "néo-réacs" seien "Intellektuelle einer neuen Rechten" und "wie die Neocons in den USA geistige Wegbereiter einer Politik, die ungleich schärfer ist als der Gallozentrismus eines Chirac oder Villepin", so der Nouvel Observateur.


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