© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/05 16. Dezember 2005

Die Rache des Bauhauses
Infobunker und Bildungstempel: Die Uni Weimar zeigt der Stadt die harte Kante, in Florida schätzt man Tradition
Arne M. Schemmerling

Ein städtebaulichen Ideenwettbewerb, den das Münchner Architekturbüro Meck bereits 1991 gewann, war der Ausgangspunkt des jüngst fertiggestellten Bibliotheks- und Hörsaalneubaus der Bauhaus-Universität in Weimar. Die 16 Millionen Euro teure Anlage ergänzt die bereits vorhandene universitäre Nutzung in der Nachbarschaft und wurde Ende Oktober in Anwesenheit von Thüringens Ministerpräsident Althaus und Kultusminister Goebel (beide CDU) eröffnet.

Der im Bereich einer ehemaligen Baulücke der Altstadt errichtete Gebäudekomplex erstreckt sich tief in das Innere des umgebenden Baublocks, nimmt im Grundriß die Struktur der Innenhofbebauung auf und bildet mit den Konturen des benachbarten Gebäudebestandes Innenhöfe, Durchgänge und Treppengassen. Mit drei bis vier oberirdischen Geschossen bleibt der quantitative Einordnung in den gewachsenen Bestand bewahrt.

Ohne Störung, Bruch und Provokation ging es nicht

Weniger freundlich zeigt sich jedoch die Gestaltung der Fassaden und der Umgang mit dem Material. Als wolle man die künftigen Architekten und Bauingenieure auf die finsteren Zukunftsaussichten des Arbeitsmarktes hinweisen, wurden sämtliche Sichtbetonflächen der Gebäudekuben in einem kalten Dunkelgrauton lasiert. Zusammen mit Asphaltbelag, verzinktem Stahl und Industrieverglasung entfaltet sich in den Innenhöfen selbst bei Sonnenschein eine Stimmung, die einem das Blut in den Adern gefrieren läßt. Gut möglich, daß die Anlage bald zu einem beliebten Suizid-Treffpunkt in Thüringen avanciert.

Die zur Westseite hin sehr großzügig von Glasflächen ohne Sonnenschutz aufgerissene Gebäudehülle läßt Fragen nach der Funktionalität für die Bibliotheksnutzung mit Bücherregalen, Bildschirmarbeitsplätzen und den Energiekosten für die Kühlung aufkommen. Die Antwort wird man demnächst erfahren, wenn gemäß einer bis 2006 umzusetzenden EU-Richtlinie die Energieverbrauchsdaten sichtbar im Eingangsbereich anzubringen sind.

So unsinnig geöffnet die Hoffassaden, so verschlossen und abweisend wurde die Front zur Steubenstraße gestaltet. Den Haupteingang bildet eine zyklopische, etwa zehn Zentimeter dicke Metallpanzertür: eine Geste, als würde - ausgerechnet in Weimar - bald der Straßenkampf losbrechen. Dazu wurde ein mehrgeschossiger (mittlerweile schon von Farbgeschossen beschmierten) Betonschild brutal ins denkmalgeschützte Straßenbild geklotzt, der in seiner Ausrichtung weder einen geometrischen Bezug zur gegenüberliegenden Straßeneinmündung hat noch die Gebäudeflucht der benachbarten Altbebauung aufnimmt, sondern diese im schrägen Winkel durchbricht und schief in den Straßenraum hineinstößt. Ohne Störung und Bruch, Provokation und Kontextverweigerung - die Schlüsselthemen des Modernismus - ging es auch hier nicht.

Auch in der Innenraumgestaltung wurde die Formensprache der Gebäudehülle konsequent durchgezogen: auf 4.300 Quadratmeter Nutzfläche garstige Bunkerästhetik an Wänden, Decken und Fußböden, in den Obergeschossen abgemildert durch die Wirkung von hellem Eichenparkett und entsprechender Holzverkleidung. Mit schwarzer Glanzlackierung wurden Bücherregale und Bestuhlung dem Gestaltungskonzept unterworfen.

Es scheint, als wolle sich die Universität mit ihrem Neubau für die Ablehnung der Weimarer gegen die schrägen Vögel des frühen Bauhauses rächen. Nun zeigt man der Stadt die harte Kante und präsentiert sich als düster-asketischer Orden.

"Wenn sie was Warmes wollen, gehen Sie doch zu McDonald's! " - entsprechend diesem Werbeslogan wirkt es wie ein Witz, daß im Gegensatz zu europäischen Verhältnissen ausgerechnet in Amerika traditionalistische und klassizistische Architekturströmungen noch einige komfortable Rückzugsposten haben. So wie in Jacksonville, Florida, wo am 12. November eine neue Stadtbibliothek eröffnet wurde. 2001, zehn Jahre später als seine Münchner Kollegen, konnte sich der bekannte amerikanische Architekt Robert A. M. Stern bei einem Wettbewerb durchsetzen.

Modernes Bauen kann auch schön sein

Mit der von herrschenden Modernismus-Anhängern bestenfalls noch als "Historismus" abgewerteten Formensprache (man erinnere sich nur an die Faschismusvorwürfe gegen James Sterlings Neue Staatsgalerie in Stuttgart) würde hierzulande jedoch kaum ein Architekturstudent durch den Semesterentwurf kommen. Im Inneren des Gebäudes befinden sich auf fünf Geschossen und 30.000 Quadratmetern außer der Präsenzbibliothek eine Foyerhalle mit Internetcafé und Kinderabteilung, ein Lesesaal sowie ein begrünter Innenhof mit Café, umgeben von kleineren Leseräumen. Hohe Räume, Gewölbedecken, repräsentative Treppen, Stuck, kräftige Farben und prächtige Beleuchtung drücken den Stellenwert aus, den man der Bauaufgabe in dieser Stadt zugemessen hat.

Der Bibliotheksneubau, Teil einer innerstädtischen Platzumrandung, weist darauf hin, "daß die Anpassungsfähigkeit des Klassizismus an die wechselnden Ideologien und Bautechniken der letzten fünfhundert Jahre von der Flexibilität und Stärke der klassischen Tradition zeugt" (Robert A. M. Stern) und modernes Bauen auch schön sein kann, wenn der Wille dazu besteht.

Fotos: Neue Bibliothek der Bauhaus-Uni in Weimar: Kalter Dunkelgrauton, Neue Stadtbibliothek in Florida


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