© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/05 16. Dezember 2005

Aufstand der Pensionäre
Die Ex-Vorstandsvorsitzenden Carl Hahn und Hans-Joachim Selenz ziehen ein dunkles Resümee
Hans-Joachim von Leesen

Wochenlang beherrschten Skandalmeldungen über interne Vorgänge im Volkswagen-Werk die Schlagzeilen nicht nur der Boulevard-Presse. Da zieht das Buch eines Mannes, der zehn Jahre lang als Vorstandsvorsitzender der VW AG einer der führenden Wirtschaftsmanager Deutschlands war, die Aufmerksamkeit auf sich. Mit einiger Erwartung schlägt man die Erinnerungen von Carl H. Hahn auf, die unter dem Titel "Meine Jahre mit Volkswagen" erschienen sind.

Hahn wuchs in einer Familie auf, deren Oberhaupt bereits eine leitende Position in einem Automobilwerk, nämlich dem der Autounion, innehatte. Hahn schildert seine behütete Jugend, seine Zeit als Luftwaffenhelfer und Reserveoffiziersbewerber der Panzertruppe, seine Einsätze, die Niederlage. Nach der Flucht in den Westen studiert er Volks- und Betriebswirtschaft in Köln, Zürich und Paris und nimmt 1954 die Chance wahr, als Assistent ins Volkswagenwerk in Wolfsburg einzutreten. Der legendäre Heinrich Nordhoff schickt ihn in die USA, wo er 1959 Leiter der VW America wird und dazu beiträgt, den Käfer in der Neuen Welt durchzusetzen. Fünf Jahre später kehrt er nach Wolfsburg zurück, wird von Nordhoff zum Vertriebschef gemacht, scheidet aber 1973 aus, um Vorstandsvorsitzender bei den heruntergewirtschafteten Continental Gummiwerken in Hannover zu werden. Er ist erfolgreich, was offenbar VW veranlaßt, ihn 1982 als Vorstandsvorsitzenden zurückzuholen.

Man erfährt, wie Volkswagen unter seiner Leitung expandierte. Nachdem zunächst der Käfer das einzige Modell war, wurden weitere entwickelt, eine moderne Händlerorganisation aufgebaut, Niederlassungen, dann eigenständige Werke in Nordamerika, Südamerika, Südafrika, Spanien gegründet. 1978 nahm Hahn erste Gespräche in China auf, die 1984 zur Gründung des Gemeinschaftsunternehmens Shanghai Volkswagen führten. Hahn berichtet bewundernd, daß in der chinesischen Santana-Fabrik eine Nachbearbeitung produzierter Autos nahezu überflüssig war - ganz im Gegensatz zu den in Europa und den USA gebauten Autos. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus setzte VW seinen Fuß nach Tschechien, in die Slowakei, nach Ungarn und Polen.

Noch bevor die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten vollzogen war, gründete VW in Zwickau und Chemnitz eigene Werke, worauf Hahn besonders stolz sein kann. Selbstbewußt kann Hahn darauf verweisen, daß VW während seiner Amtszeit seinen Marktanteil um fünfzig Prozent steigerte. 1982 wurden 1,29 Millionen Kraftfahrzeuge verkauft, 2004 mehr als doppelt so viele. Das durchgesetzt zu haben trotz immer wieder auftretender Krisen, ist zu einem großen Teil dem Vorstandsvorsitzenden Hahn in den zehn Jahren seiner Tätigkeit zu verdanken.

Wer nach Hinweisen auf Fehlentwicklungen sucht, die 2005, also längst nach Hahns Ausscheiden, zutage traten, stößt auf die mehrfache Betonung, daß die Firmenleitung der VW AG stets Wert auf sozialen Frieden gelegt habe, was sich auf harmonische Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat bezieht.

Hahn macht aber auch schon Anzeichen für eine problematische Entwicklung deutlich, so wenn er kritisch die von der IG Metall durchgesetzte Ergänzung des Haustarifvertrages Anfang der achtziger Jahre erwähnt, die zur heute berüchtigten expansiven Pausenpolitik geführt hat, oder auf die ebenfalls von der Gewerkschaft erkämpfte 35-Stunden-Woche verweist. Zusammen führten diese Faktoren 1981 zu einer Zusatzbelastung in Höhe von einer Milliarde Mark.

In einem Epilog zieht Hahn eine bittere Bilanz aus heutiger Sicht. Der seit Jahrzehnten anhaltende Trend, immer weniger zu arbeiten bei längeren Urlaubzeiten und höheren Ansprüchen an den Staat, die Demontage unserer Kultur, der Zerfall unserer Familie - das alles, so Hahn, habe unser Land in seinen Grundfesten erschüttert. Die immer wiederkehrenden Forderungen, die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken durch mehr Leistung und Senkung der Staatskosten, hätten zu nichts geführt. "Das deutsche Modell der Mitbestimmung auf Unternehmens- und Betriebsebene ist international einmalig und isoliert uns." Das Betriebsverfassungsgesetz ermögliche der IG Metall einen "fast totalen Zugriff auf die Arbeitnehmer". Er läßt durchblicken, daß die Interessen der Gewerkschaften die des jeweiligen Unternehmens überlagern, was dazu führt, daß in der VW AG die Funktionäre "oder im Extremfall sogar Ex-Regierungschefs" mit versorgt werden.

Man fragt sich, warum der in seiner aktiven Zeit zu den profiliertesten Wirtschaftsführern Deutschlands gehörende Hahn offenbar keine Möglichkeit genutzt hat, sich nicht nur um das Gedeihen des VW-Werkes zu bemühen, sondern auch politisch einzugreifen. Sein Einfluß erstreckte sich schließlich nicht nur auf das Wolfsburger Unternehmen. Er hätte durchaus Kräfte stärken können, die sich bemühen, den Irrweg unseres Staates zu korrigieren. Leider findet man davon in seinem Buch nichts. Sein Verhalten ähnelt dem manch anderer, etwa Hans-Olaf Henkels, die auch erst im Ruhestand ihre kritische Haltung offenbar werden ließen.

Ein anderer ehemals einflußreicher Manager schildert die Auswirkung der Eingriffe durch linke Kräfte in die Wirtschaft, nämlich Hans-Joachim Selenz, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Salzgitter AG, Mitglied des Vorstands der Preussag. Folgt man seinem Buch "Wildwest auf der Chefetage", dann sind in nicht wenigen deutschen Großunternehmen kriminelle Strukturen in den Führungsetagen entstanden - Übernahme von Mannesmann durch Vodafon, Skandal um Berliner Bankgesellschaft, DaimlerChrysler, Infineon, Preussag -, und das nicht zuletzt durch die immer stärker gewordene Einflußnahme von Parteien und Gewerkschaftsfunktionären.

Man liest von skandalösen Vorgängen etwa in der Westdeutschen Landesbank, der Preussag AG, der Salzgitter AG, gegen die Selenz vergeblich anzukämpfen sich bemühte. Auch als er die Mißstände der Staatsanwaltschaft zugänglich machte, erfolgte nichts, weil, wie er argwöhnt, auch dort bestimmte Parteien die Hebel stellen. Selenz schildert detailliert die Tricks, Intrigen, Winkelzüge, ja, kriminellen Handlungen, mit denen sich gewisse Kreise Macht, Einfluß und persönliche Vorteile zu sichern trachten, und er scheut sich auch nicht, Namen zu nennen.

Foto: Gesamtbetriebsratvorsitzender Klaus Volkert (l.) mit IG-Metall-Chef Klaus Zwickel 2002 bei der VW-Delegiertenversammlung: Fast ein totaler Zugriff auf die Arbeitnehmer

Carl H. Hahn: Meine Jahre mit Volkswagen. Signum Verlag, München 2005, 318 Seiten, gebunden, Abbildungen, 24 Euro

Hans-Joachim Selenz: Wildwest auf der Chefetage. Schröders Kampf um Salzgitter und die Kanzlerschaft. Buch & medi@, München 2005, 148 Seiten, broschiert, 14,90 Euro


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