© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/05 16. Dezember 2005

Frisch gepresst

Kniefall. An einem trüben Dezembertag vor 35 Jahren kniete Bundeskanzler Willy Brandt bei der Kranzniederlegung an einem Betondenkmal nieder, das ebenso grau wie die umgebenden Plattenbauten war. Seitdem ist diese Szene vom Warschauer Staatsbesuch zum "deutschen Erinnerungsort" geworden, der oft als Synonym für die neue Ostpolitik gesetzt wurde. Der Münchner Historiker Michael Wolffsohn und sein Kollege Thomas Brechenmacher bringen nun rechtzeitig zum halbrunden Jahrestag ihre Interpretation dieser Szene heraus. Darin fragen sie nach der Absicht des Kanzlers und verfolgen die Rezeption. Natürlich hatte der Kniefall wenig mit der Ostpolitik zu tun, war doch das Denkmal dem jüdischen Aufstand im Warschauer Ghetto von 1943 gewidmet, der in der polnischen Erinnerungskultur hinter dem nationalpolnischen Aufstand im August 1944 weit zurückstand. Für die von den kommunistischen Machthabern kontrollierten Medien war die Geste somit eine schnell vergessene Randerscheinung. Seltsamerweise hat aber auch in Israel oder den USA die Verneigung vor den jüdischen Opfern kaum Resonanz gefunden, wie Wolffsohn feststellt. Natürlich will er nun das "Erinnerungsdenkmal" auch nicht stürzen - wie der Titel andeutet -, sondern nur interpretatorisch korrekter verorten. Den eigentlichen Denkmalssturz unterstellt er dem ehemaligen Brandt-Vertrauten Egon Bahr, der in dieser Zeitung (JF 46/05) sagte, "kein Volk kann dauernd kniend leben" (Denkmalsturz? Brandts Kniefall. Olzog Verlag, München 2005, 178 Seiten, gebunden, 18,50 Euro).

 

Heideggers Antike. Die existentialistischen Deutungen antiker Philosophen durch Martin Heidegger sind wirkungsmächtig. Doch zeigt eine kritische Analyse zentraler Textstellen bei Heraklit, Platon, Aristoteles und Sophokles im Lichte der klassischen Metaphysik, wie fragwürdig Heideggers Interpretationen sachlich und philologisch sind. Der in Rom an der Lateran-Universität lehrende Philosoph Horst Seidl bringt klare, textnahe Belege dafür, daß Heideggers phänomenologische Umdeutung der Klassiker unhaltbar ist. Prägnant ist Seidls Auslegung des Höhlengleichnisses. Sie wendet sich gegen die Unterschlagung der metaphysischen und ethisch-politischen Dimension durch Heidegger, der Platons Kritik an der politischen Scheinwirklichkeit nicht erfaßt (Heideggers Fehlinterpretation antiker Texte, Verlag Nova & vetera, Bonn 2005, 180 Seiten, broschiert, 26 Euro).


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