© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/05 16. Dezember 2005

Mediale Revolution: Eine Bilanz nach fünfzehn Jahren weltweiter Vernetzung
Das Internet feiert Geburtstag
Frank Liebermann

Weihnachten 1990 waren die Menschen mit allem möglichen beschäftigt. Sie sangen Choräle, packten Geschenke aus oder bereiteten den Kirchgang vor. Historisch waren die Umwälzungen in Osteuropa im Gange und die Deutschen frisch wiedervereinigt. Da fiel niemandem groß auf, als Tim Berners-Lee ein Experiment startete.

Der britische Physiker stellte vom Genfer Forschungszentrum Cern aus die erste Internetsite online. Grundlage war die von ihm entwickelte Programmiersprache HTML, auf der heute alle Internetseiten basieren. Noch war die erste Homepage textbasiert und hatte außer den Hyperlinks nicht allzuviel zu bieten. Trotzdem: Unbemerkt von der Weltöffentlichkeit hatte der Physiker den Grundstein für einen Umbruch in der Gesellschaft gelegt. Die Informationsgesellschaft sollte Wirklichkeit werden.

Für einen weiteren Meilenstein sorgte 1994 Marc Andreessen. An der Universität von Illinois entwickelte er den ersten Webbrowser mit dem Namen Mosaic. Dieses Programm ermöglichte eine komfortable Darstellung von Internetseiten auf den Bildschirmen. Schnell sprangen die Anbieter von Zugängen auf die neue Technologie auf und integrierten sie in ihre Leistungen. Die Anwender benötigten nur noch einen Computer, einen Telefonanschluß und ein Modem. Das Internet wurde damit auch für Nichtspezialisten einfach nutzbar. Heutzutage ist der Gebrauch eines Computers mit Internetzugang genauso selbstverständlich wie die Nutzung eines Telefons oder eines Autos.

Inzwischen sind schätzungsweise zwischen 500 und 700 Milliarden Web-Dokumente verfügbar, die Zahl steigt täglich. Weltweit hat rund eine Milliarde Menschen Zugriff auf das Internet. Hier liegt der Hauptgrund für den Erfolg des Netzes, für den Robert Metcalfe den theoretischen Ansatz lieferte. In dem nach ihm benannten Gesetz formulierte er, daß der Nutzen eines Netzes im Quadrat mit der Anzahl der Mitglieder steigt. Einfach formuliert: Je mehr Nutzer, desto größer der Nutzen insgesamt.

Mit dem ersten Browser schlug die Stunde der Geschäftemacher. Die Firma Netscape war Vorreiter. Der Hersteller eines Browsers und Webservers verdiente mit seinem Börsengang Millionen, das Unternehmen hatte zeitweise einen Börsenwert von mehreren Milliarden Dollar! Eine Vielzahl von Unternehmen folgte, der Boom "New Economy" war geboren.

Der größte Teil der neuen Unternehmen verschwand nach dem Platzen der Börsenblase, bei dem auch viele Kleinanleger und Privatpersonen aus großen Vermögen kleine machten. Trotz allem hatte der Boom auch sein Gutes. Das Internet trat in das Bewußtsein der breiten Öffentlichkeit, und eine Vielzahl von technologischen Innovationen sorgten für eine noch einfachere Nutzung.

Fünfzehn Jahre sind seit der ersten Internetpräsenz vergangen. Alle möglichen Prophezeiungen wurden abgegeben. Die Spaltung der Gesellschaft in Menschen, die mit den neuen Technologien umgehen können, und in die, die keine Ahnung haben, ist ausgeblieben. Einfache Technologien ermöglichen heute einen Zugang für fast jeden, der sich dafür interessiert. Auch zu einer Spaltung zwischen Alt und Jung ist es nicht gekommen. Immer mehr Senioren beschäftigen sich mit dem Internet und wissen es zu ihrem eigenen Vorteil zu nutzen.

Obligatorisch natürlich auch der Vorwurf, die Armen würden das Netz weniger nutzen als reiche Personen. Studien zeigen, daß dieser Vorwurf innerhalb von Gesellschaften nicht stimmt. Richtig ist er nur beim Vergleich zwischen entwickelten und unterentwickelten Nationen. Eine andere Annahme lautete, daß sich Frauen weniger damit beschäftigen als Männer. Auch das hat sich als falsch erwiesen. Tatsächlich waren in den Anfangstagen des Internets die Männer dominant, da sie gerne stundenlang an ihren Kisten herumfummelten, um sie zum Laufen zu bringen. Dafür konnten sich Frauen seltener begeistern. Seit die Technik aber einfacher wurde, haben sich die Zahlen der Nutzer auch hier angeglichen. Natürlich gibt es Unterschiede hinsichtlich der Bildung, des Wohlstands und der Generationszugehörigkeit. Allerdings haben diese Unterschiede nichts mit dem Internet an sich zu tun - sie sind gesellschaftlich verwurzelt und spiegeln sich nur in der Mediennutzung wider.

Jedes neue Medium ist mit Hoffnungen und Ängsten verbunden. Das Internet hat in den ersten fünfzehn Jahren seines Bestehens die Welt genauso verändert wie einst der Buchdruck, das Radio oder das Fernsehen. Es hat sie nicht zerstört - aber sicher auch nicht zum Paradies gemacht, wie mancher Utopist hoffte.


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