© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/05 01/06 23./30. Dezember 2005

Der Lack zerbricht
Die Gewaltausbrüche in Australien folgen nur Gesetzen ethnischer Konflikte
Götz Kubitschek

Multikulturelle Gesellschaften gleichen Erdbebengebieten: Über Jahre bauen sich im Untergrund Spannungen auf, die bei plötzlicher Entladung vergessene oder verdrängte Bruchlinien an der Oberfläche markieren. Bester Wille und sorgfältigste Planung können auf Dauer das nicht verdecken, was auseinanderrutschen oder gegeneinanderprallen will.

Die experimentierfreudige Einwanderungs- und Asylpolitik der vergangenen Jahrzehnte hat Deutschland ebenso von einem erdbebensicheren zu einem spannungsgeladenen Gebiet gemacht wie Frankreich oder Australien: zu einer multikulturellen Gesellschaft eben. Während aber unser Land noch auf die große Entladung wartet, hat Frankreich sein mittelschweres Erdbeben erlebt und durch Ruhigstellung mittels Aufstockung der Sozialarbeit auch auf zeitgemäße Weise gemeistert.

Dieses Meistern erfolgte in der Ermüdungsphase, in die selbst die kriminellen Jugendbanden der französischen Banlieues nach zwei, drei Wochen gerieten. Wirkmächtig entgegengetreten war den Randalierern niemand, und dies ist ein Ausdruck von Schwäche und Unsicherheit. Die meiste Energie staatlicher und nichtstaatlicher Konfliktbewältigungsstellen floß in das Bemühen, die sozial unterfütterten Rassenunruhen nicht so, sondern anders zu bezeichnen: als deutlich vorgetragenen Hilferuf einer unterprivilegierten, dem Rassismus der Autochthonen tagtäglich ausgesetzten, ghettoisierten Migrantenschicht.

Lorenz Jäger kommentierte in der FAZ diese Wortfindungsstörungen zugespitzt: Rassismus sei eine Einbahnstraße. Gemäß der verantwortungslosen Auffassung westlicher Intellektueller und Politiker könnten nur Weiße Rassisten sein. Diese Beobachtung ist nicht neu, bezeichnend ist bloß, daß sie selten an prominenter Stelle geäußert wurde. Veranlaßt dazu haben Jäger die Rassenunruhen am Strand in Australien: Weil dort ein paar tausend weiße Jugendliche eine wilde Jagd auf libanesische und andere Einwanderergruppen veranstalteten, sprechen dieselben Kommentatoren, die in Frankreich das Recht auf die Brandflasche diskutierten, vom unerträglichen Rassismus der australischen Gesellschaft.

Es fehlt die Vorgeschichte: In der Tektonik der australischen Gesellschaft hatten sich über Jahre hinweg ethnische Spannungen aufgebaut. Dieser Prozeß spitzte sich in den letzten Monaten zu und entlud sich nun in Cronulla Beach, einem vergleichsweise homogenen, das heißt in diesem Fall: weiß besiedelten, Stadtteil des ansonsten durch und durch multikulturellen Sydney. Junge Libanesen hatten in aufdringlicher Manier bei weißen weibliche Badegästen das Gespräch und mehr gesucht und nach Ordnungsrufen durch die Strandwache zwei Bademeister krankenhausreif geschlagen. Daraufhin organisierte sich junge, männliche, weiße Gegenwehr, um ihr Terrain zu verteidigen.

Angesichts der wahllosen Hetzjagd auf alles "Libanesische" wurde der Ruf nach staatlicher Ordnungsmacht laut, die die Einwanderer vor dem Rassismus der Eingeborenen zu schützen habe. Wann aber hätte der Staat eingreifen müssen? Die Belästigung weißer Australierinnen durch Libanesen am Strand von Sydney ist trotz aller Versuche, Mobbing, Stalking und andere Formen des Nachstellens exakt zu definieren, kein einfacher Fall für einen Polizisten. Was ist hier Balzspiel, was ist unerwünscht? In jeder Dorfschenke, auf jedem Bierfest und in jeder Disco galt und gilt in solchen Fällen stets, daß geschützt ist, wer Freunde hat. Schon vor hundert Jahren sind auf dem Kopf des Kurgasts, der in Bad Reichenhall am Mieder der schönen Rosi zupfen wollte, Maßkrüge zerschellt. Solches ist kein Fall für den Staat.

Der Staat erhält seine Aufgabe dann, wenn der Anteil der Kurgäste, der Gäste, der Fremden überhand genommen hat und die Dorfschenke zum Stadtteil oder zum Strand geworden ist. Der Maßkrug trifft den Kopf dieses einen, ganz bestimmten Kurgasts. Wenn jedoch die Bedrohung des Eigenen nicht mehr individuell, sondern massenhaft geschieht, muß die Ordnungsmacht auf den Plan treten. Versäumt sie ihren Auftritt, zeigt sich, ob die bedrohte Gruppe vital genug ist, die Angelegenheit selbst zu regeln. Dann reicht ein letzter Ruck, und mit dem hauchdünnen Lack über den ethnischen Blöcken zerbrechen auch der multikulturelle Scheinfriede und die Gerechtigkeit der individuellen Bestrafung des Übeltäters. Dann wird nach Hautfarbe sortiert und verdroschen oder sogar gelyncht. Das ist nicht gerecht. Aber es passiert einfach, weil die Gesetze ethnischer Konflikte so und nicht anders sind.

Wie müßte der Staat denn handeln in einem solchen Fall? In der Vergangenheit hat er wider besseres Wissen bei der Vorbeugung solcher Konfliktlagen versagt. Der erste Schritt wäre, die Sachlage so zu benennen, wie sie ist: Die multikulturelle Gesellschaft ist ein Pulverfaß, die kommenden innerstaatlichen Auseinandersetzungen werden rassische sein, und die weißen Anteile der westlichen Staaten werden dabei demographisch an die Wand gespielt. Schlußfolgerungen aus dieser Bestandsaufnahme zu ziehen, ist dann der zweite Schritt.

An die Gewalttäter von Cronulla Beach ist der Vorwurf eher nicht zu richten: Diese haben Bruchlinien markiert und dem Staat in seiner Selbstfindungsphase die Arbeit abgenommen. Dies ist ein Ausdruck von Vitalität, von Abwehrbereitschaft, und es ist ein Zeichen von Dekadenz, über solch Rohes empört den Stab zu brechen.

"Wenn jedoch die Bedrohung des Eigenen nicht mehr individuell, sondern massenhaft geschieht, muß die Ordnungsmacht auf den Plan treten, um Konflikte zu verhindern."


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