© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/05 01/06 23./30. Dezember 2005

Ein Tropfen im Meer der Schulden
Verkehrspolitik I: Die Privatisierungswelle in Frankreich geht weiter / Staat verkauft einen Teil der Betreibergesellschaften
Jean-Marie Dumont

Der französische Wirtschaftsminister Thierry Breton teilte letzte Woche mit, daß der Staat seine Mehrheit an drei Autobahnbetreibern für 14,8 Milliarden Euro verkauft hat. Die Autoroutes du Sud de la France gehen an den französischen Baukonzern Vinci. Die Autoroutes du Nord et de l'Est (Sanef) werden vom spanischen Unternehmen Abertis übernommen. Das Autobahnnetz Paris-Rhin-Rhône erhält der französische Baukonzern Eiffage zusammen mit der australischen Investmentbank Macquarie.

Nicht nur die Linksopposition und die Gewerkschaften, auch rechte Politiker werfen der bürgerlichen Regierung von Dominique de Villepin nun vor, eine rein kurzfristige Finanzpolitik zu treiben. Die Privatisierung der Autobahnbetreiber beraube Frankreich langfristiger und regelmäßiger Infrastruktureinnahmen. Breton will dennoch die Einmaleinnahmen aus der Privatisierung vor allem für den Schuldenabbau verwenden - die französischen Staatsschulden liegen bei 1,1 Billionen Euro.

Laut der Opposition ist die Privatisierung der Autobahnen jedoch kein wirksames Mittel, um den Staatshaushalt zu sanieren. Wenn die 14,8 Milliarden zur Entschuldung des Staates eingesetzt würden - was nicht der Fall sei -, wäre es "ein Tropfen im Meer der Staatsschulden", erklärte Floréal Pinos, Generalsekretär der Gewerkschaft SNAOR, der JF. Die Generalsekretärin für Verkehrspolitik der französischen Sozialisten (PS), Pascale Le Néouannic, erläuterte der JF ihre Bedenken gegen die Autobahn-Privatisierung.

Wie beurteilen Sie die Entscheidung der französischen Regierung, einen Teil der Autobahnbetreibergesellschaften an private Unternehmen zu verkaufen?

Le Néouannic: Diese Privatisierung bedeutet ein Verschleudern des nationalen Erbes. Diese Maßnahme steht im Widerspruch zu den Interessen der Allgemeinheit, zum territorialen Zusammenhalt und zur Achtung vor der Umwelt. Die Regierung steigert dadurch die soziale Ungerechtigkeit. Die Privatisierung der Autobahnbetreiber ist wirtschaftlicher Unsinn, weil diese sich bisher in einer Monopolstellung befanden, ohne von Konkurrenz betroffen zu sein. Wenn diese Aktivität nun privatisiert wird, wird sie der reinen Logik des Handels überlassen. Die öffentlichen Betreiber waren jedoch ein Instrument der Politik, das dazu dienen konnte, die für die Entwicklung der Verkehrsmittel - unter anderem den Huckepackverkehr (Lkws auf der Bahn) - notwendigen Investitionen bereitzustellen.

Was halten Sie von der Auswahl der künftigen Betreiber?

Le Néouannic: Es wird einen Interessenkonflikt geben. Da Betreibergesellschaften der Autobahnen an Unternehmensgruppen verkauft worden sind, deren Haupttätigkeit der Bau von Gebäuden und der Tiefbau ist, werden diese Unternehmen künftig in der Lage sein, sich quasi selbst öffentliche Aufträge zu vergeben. Viele, und auch Großbetriebe, machten schon diese Feststellung. Martin Bouygues (Vorstandschef des Bau- und Telekommunikationskonzerns Bouygues) hat sich sogar geweigert, an dem Privatisierungsprozeß teilzunehmen, weil er diese Form von Kapitalismus als unmoralisch betrachtet.

Teilen Sie die Meinung der liberal-konservativen Partei von François Bayrou (UDF), daß diese Privatisierung gegen Gesetze verstößt?

Le Néouannic: Ich verstehe die Meinung der UDF, denn es handelt sich um den Verkauf eines öffentlichen Gutes. Durch diese Privatisierung organisiert der französische Premierminister Villepin eine unberechtigte Bereicherung. Die Autobahninvestitionen wurden von allen Steuerzahlern finanziert, während die Einnahmen nun dem privaten Sektor zufließen. Öffentliche Investitionen, aber Privatisierung der Gewinne: Das ist die Logik der von der Regierung betriebenen Politik.

Wie haben die bisher in der öffentlichen Verwaltung der Autobahnen Beschäftigten reagiert?

Le Néouannic: Die Angestellten haben heftig und wiederholt reagiert. Die Gewerkschaften haben die Wahl des Unternehmens Eiffage-Macquarie für die Verwaltung der Autobahnen Paris-Rhin-Rhône kritisiert, weil dieser Betrieb nur eine Betreibungsverpflichtung für zwei Jahre ankündigte, was zeigt, daß er auf kurzfristige Ergebnisse der Investitionen hofft. Diese Logik der unmittelbaren Einträglichkeit wird Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben, auf die von den Angestellten hingewiesen worden ist. Diese sehen eine besondere Bedrohung in der Zusammenlegung der Dienste und der Automatisierung der Mautstellen.

Welche Folgen wird die Privatisierung haben?

Le Néouannic: Der Staat hat entschieden, im Rahmen dieses Verkaufs 15 Milliarden Euro zu bekommen. Dadurch verzichtet er auf die Dividende, die er jedes Jahr gewinnen könnte. Es handelt sich um eine kurzfristige Politik. Diese Privatisierung ist auch wirklich ein Verzicht auf Umweltschutz. Der Lkw-Verkehr ist nämlich Schlußlicht der französischen Wirtschaft im Kampf gegen die Klimaerwärmung. Tatsächlich aber wird die Umwelt die letzte Sorge der Aktionäre sein, die eher an der Erhöhung ihrer Gewinne Interesse haben werden. In allen Privatisierungsoperationen sind die ersten Opfer immer die Gehaltsempfänger. Um die Gewinne zu vermehren, benutzt der Liberalismus den Arbeitsmarkt als Anpassungsvariable. Die Autobahnbenutzer werden eine Erhöhung der Mautgebühren erleben. Die Gebühren von Cofiroute - dem ersten privatisierten Autobahnbetrieb (und Teil des deutschen Mautkonsortiums Toll Collect) - sind schon die teuersten des französischen Autobahnnetzes.

Glauben Sie, daß die Privatisierung der Autobahnen nicht ein wirksames Mittel sein könnte, um die immer weiter steigende Staatsverschuldung Frankreichs zu reduzieren?

Le Néouannic: Die Regierung hat eine zweifelhafte Kommunikationspolitik getrieben und hat grobe Kunstgriffe benutzt. Sie hat behauptet, der Verkauf der Autobahnbetriebe in der Höhe von 15 Milliarden Euro würde die Staatsschuld von 1,1 Billionen Euro beseitigen. Die Staatsschulden, die zwischen 1997 und 2002 (Lionel Jospins PS-Regierung) gesunken sind, haben sich durch die von der UMP betriebene Politik immer weiter vergrößert. Die Staatsschuld hat um 210 Milliarden in drei Jahren zugenommen, was ein historischer Rekord ist, und was einer Periode entspricht, in der die Regierung ihre Privatisierung mit einer besonderen Intensität betrieben hat. Die UMP hat die Gewinne privatisiert, und diese Politik führt zum Bankrott der öffentlichen Finanzen.

Foto: Französische Mautstation bei Reims: Autobahnbenutzer werden eine Erhöhung der Gebühren erleben

 

weitere Interview-Partner der JF


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen