© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/05 01/06 23./30. Dezember 2005

Langeweile in Saus und Braus
Lesevergnügen: Michael Klonovskys "Land der Wunder" gehört auf jeden Gabentisch
Thorsten Thaler

Klappentexte von Büchern sind, diese Erfahrung wird jeder Leser schon gemacht haben, reine Glückssache. Nicht selten sind sie derart irreführend, daß man sich fragt, ob ihre Verfasser in den Werbeabteilungen und Lektoraten von Verlagen das betreffende Buch überhaupt gelesen haben. Gut beraten ist daher, wer Klappentexte entweder ganz ignoriert oder sie jedenfalls nicht für bare Münze nimmt. Das beugt Enttäuschungen vor.

Es gibt freilich Ausnahmen. In dem kürzlich erschienenen Buch "Land der Wunder" von Michael Klonovsky ist im Klappentext davon die Rede, daß es sich um ein "satirisches und abgründiges Epos in der Tradition des Schelmen- und Entwicklungsromans" handele, zudem um eine äußerst merkwürdige Liebesgeschichte und eine "Parabel über die fragwürdige Glücksverheißung einer rein geistigen Existenz". Der Autor beschreibe "in einem erfrischenden und sarkastischen Ton die nahezu beispielhafte Verwestlichung seiner Hauptfigur". Das ist treffend gesehen.

Hinreißend komisch zeigt er, woran die DDR scheiterte

Puristen mögen sich an der Gattungsbezeichnung "Roman" stören und einwenden, daß eine autobiographisch gefärbte Abfolge von Lebensepisoden noch keine Literatur ist. Geschenkt. Was allein zählt, ist dies: Klonovsky (43), im Hauptberuf Redakteur beim Münchner Nachrichtenmagazin Focus, hat ein fabelhaftes Buch geschrieben, gleichsam den Knüller der diesjährigen Büchersaison. Und wenn die meisten Literaturkritiker hierzulande weniger verblödet wären und nicht immerzu auf die immergleichen Namen setzen würden, wäre Klonovskys "Land der Wunder" auch längst in den angeblich meinungsführenden Feuilletons dieser Republik groß besprochen worden.

Worum geht es? Johannes Schönbach, Hauptfigur und Alter ego Klonovskys, in Ost-Berlin geboren, existiert mehr, als er lebt, im Land von Mauer und Stacheldraht. Mit seinem Vater, SED-Mitglied, Oberstufenlehrer für Geschichte und Staatsbürgerkunde und stellvertretender Schuldirektor, liegt er schwer über Kreuz, interessiert Schönbach junior sich doch weniger für die kommunistische Heilslehre, sondern vor allem für Frauen, Bücher und Alkohol - je nach Gelegenheit. Als Philologiestudent an der Humboldt-Universität wegen "staatsfeindlicher Hetze" zwangsexmatrikuliert, muß er sich als Hilfsarbeiter "in der Produktion bewähren", erst in einem Möbellager, dann in einem Schnapsdepot.

Hinreißend komisch erzählt Klonovsky in diesem ersten Teil seines Wende- und Deutschlandromans von Menschen und Zuständen in jenem Zentrallager Spirituosen, das für die Versorgung der DDR-Bevölkerung mit dem "Lebenselixier des Sozialismus" zuständig war. "Der Laden is kriegswichtig", klärt ein älterer Disponent Schönbach auf. "Der Fusel muß unters Volk. Versorgungsengpässe bei Alkohol darf et nich jeben, det schafft revolutionäre Situationen." Klonovsky erzählt vom Kollektiv in diesem Schnapslager in einer Weise, die mehr als in vielen Sachbüchern anschaulich werden läßt, warum und woran die DDR auch scheiterte.

Auf Umwegen landet Schönbach irgendwann zunächst als Korrektor beim Berliner Tageblatt, wie das führende Organ der SED-Bezirksleitung im Buch heißt, wird später dort Journalist und erlebt die Zeit der Wende und Wiedervereinigung. In diesem Teil seines Romans, dem Herzstück, läuft Klonovsky zu ganz großer Form auf. Wer je etwas aus dem Innenleben einer Zeitung unmittelbar vor und während der Wende, ihrer Übernahme durch einen westdeutschen Verlag und die Beschaffenheit des heutigen Medienbetriebs erfahren wollte, kommt an diesem Buch nicht vorbei.

So merken Schönbach und einige seiner Kollegen bald nach der Wende, daß sie vom Regen in die Traufe geraten sind. Das Führungspersonal hat gewechselt, die Arbeitsmethoden und -bedingungen sind andere, nur mit der Meinungs- und Pressefreiheit hapert es weiterhin. Wo sie früher, zu DDR-Zeiten, gar nicht vorhanden war, wird sie heute zumindest subtil gelenkt.

Mit der Pressefreiheit hapert es auch nach der Wende

So muß ein Redakteur für Zeitgeschichte frustriert hinnehmen, daß ein Kommentar von ihm über die Grenzen der Belastbarkeit Deutschlands mit Zuwanderern nicht gedruckt wird, und statt eines Berichts über die Vertreibung der Deutschen aus den ehemaligen Ostgebieten, wie ihn der Redakteur vorgeschlagen hatte, erscheint eine mehrteilige und "mitunter hymnische" Serie über die westdeutschen 68er.

"Ich wollte frei sein", sagt der unzufriedene Redakteur zu Schönbach, nachdem er zum wiederholten Mal von der Chefredaktion ausgebremst wird. "Ich wollte endlich nach bestem Wissen und Gewissen über Dinge schreiben, die mich interessieren. Nun gibt es wieder jede Menge Themen, über die man sich nicht äußern darf, wieder gefährde ich gewissermaßen den Weltfrieden, wieder stehe ich inmitten von angepaßten Speichelleckern ..."

Und an anderer Stelle läßt Klonovsky besagten Redakteur dozieren: "Früher habe ich Hitler und seine Bande gehaßt, wie jeder sie haßt, der alle Tassen im Schrank hat. Nachdem ich nun mehrere Jahre die demokratische und vor allem die linksliberale Westpresse konsumiert und den nachgeholten deutschen Widerstand kennen gelernt habe, fällt es mir zunehmend schwer - zumindest mag ich's nicht mehr artikulieren, weil ich keine Lust habe, mit diesem wohlfeilen Gesindel verwechselt zu werden." Resigniert kündigt er.

Schönbach selbst arrangiert sich mit den neuen Verhältnissen und ihren Verlogenheiten. Als Edelfeder genießt er Freiheiten und Ansehen, gewinnt Journalistenpreise, wird auf Partys eingeladen. Er wechselt als Reporter nach München zum Boulevardmagazin V.I.P., bekommt ein fürstliches Gehalt, reist in der Welt umher, wohnt auf Kosten des Magazins in einem Penthouse mit offenem Kamin und Dachterrasse, trägt teure Klamotten und verkehrt in Schickeria-Kreisen. Durch Aktienspekulationen zum Millionär geworden, führt er ein Leben in Saus und Braus, Frauen und teure Weine inklusive. Nur der Langeweile und inneren Leere kann er nicht entfliehen.

Das alles ist, wie gesagt, glänzend erzählt, sprachspielerisch, humorvoll und geistreich zugleich, ein pures Lesevergnügen. Klonovskys einzige kleine Schwäche besteht darin, daß er sich phasenweise nicht zügeln kann. Wer will schon drei volle Seiten nur über die Behandlung von Hämorrhoiden lesen? Auch der letzte Teil des Buches - Schönbach ist inzwischen Geschäftsmann geworden - hätte zumindest eine Straffung verdient; im Grunde ist er sogar verzichtbar. Vierzig, fünfzig Seiten weniger hätten dem Roman sicher nicht geschadet.

Dennoch: Wer über die bevorstehenden Feiertage und den Jahreswechsel nur Zeit für ein einziges Buch findet, der sollte unbedingt zu Klonovskys "Land der Wunder" greifen.

Michael Klonovsky: Land der Wunder. Kein & Aber, Zürich 2005, 542 S., geb., 22,80 Euro

Foto: Turm des Wasserrettungsdienstes in Binz auf Rügen, gebaut vom DDR-Architekten Christian Müther und Umschlagmotiv bei Klonovsky


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