© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/06 06. Januar 2006

WIRTSCHAFT
Märchenhafter Aufschwung
Bernd-Thomas Ramb

Die Wirtschaftsaussichten der Forschungsinstitute für 2006 erscheinen unter der (obwohl nur zur Hälfte) neuen Regierung wesentlich rosiger, als die Erfahrung des abgelaufenen Jahres eigentlich erwarten lassen. Nachdem selbst der schlechteste für das Jahr 2005 vorausgesagte Wachstumswert von 0,8 Prozent noch deutlich unterschritten wurde, fallen die Prognosen für das Jahr 2006 nicht vorsichtiger, sondern strahlend optimistisch aus. Sämtliche Institute haben ihre ursprünglichen Vorhersagewerte nochmals angehoben und weissagen ein vom Merkel-Effekt belebtes Wirtschaftswachstum von mehr als 1,5 Prozent. Den Arbeitsmarkt, soviel Realismus herrscht immerhin vor, wird dieses "Wirtschaftswunder" nicht nachhaltig beeinflussen. Einen deutlichen Rückgang der Arbeitslosenzahlen sieht keiner. Folglich kann der Wirtschaftsaufschwung nur auf Rationalisierungseffekten und der Verlagerung des Faktors Arbeit in das Ausland beruhen. Dies vorherzusagen ist jedoch keine große Kunst.

Schließlich sind die Schwachstellen des deutschen Arbeitsmarktes weitgehend bekannt: zu hohe Lohn(neben)kosten, zu schlecht ausgebildete Jungarbeitslose, zu wenig Flexibilität bei der Freisetzung und Neueinstellung von Beschäftigten. Da sind die Vorteile des Auslands unübersichtlich. Eine Änderung der deutschen Standortnachteile ist aber weder für das Jahr 2006 noch danach absehbar - selbst unter der neuen Regierung. Woher also dieser Wirtschaftswachstumsoptimismus? Da mag der edle Schein des Neuen die Prognostiker geblendet haben. Solide fundiert ist das nicht. Und nebenbei, was ist schon ein Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent angesichts der immensen deutschen Schuldenprobleme?


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