© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 02/06 06. Januar 2006

Auf den Spuren der Hippies
Frontalangriff auf alle Werte: Die Frankfurter Ausstellung "Summer of Love" erinnert an das bewegte Jahr 1967
Werner Olles

Die Hippie-Bewegung kam Mitte der sechziger Jahre mit einem Paukenschlag, der alle aufhorchen ließ. Nach außen hin deklamierte sie lautstark ihre "Peace"- und "Make Love, not War"-Parolen und protestierte vehement gegen den Krieg der USA in Vietnam, in ihrem Propagandagepäck führte sie aber Drogen aller Art mit sich, und ihre "Flower Power"-Musik verherrlichte Promiskuität, Hedonismus und das Recht auf Faulheit und brachte unverhohlen ihre Verachtung bürgerlicher Konventionen wie der Familie und der Arbeit zum Ausdruck. Durch jene Tür, die die kalifornischen "Blumenkinder" aufbrachen, trat jedoch noch eine zweite Erscheinung, lautlos wie auf Katzenpfoten. Die amerikanische Westküste wurde 1966 zum Mekka der Drogenkultur, und ein Jahr später wurden die gesamten USA von einer Drogenepidemie überrollt.

Gleichzeitig mit der von der kalifornischen Berkeley-Universität ausgehenden 67er-Kulturrevolution brachte die Sex-Revolution eine Flut von pornographischen Filmen und Büchern in die Kinos, Clubs und Läden. Nachdem die Tabugrenzen des Sexuellen geknackt waren, rieb sich die Porno-Industrie angesichts dieser allgemeinen Verschweinung des Lebens zufrieden die Hände.

Auch dieser Frontalangriff auf die bereits im Wanken begriffenen Institutionen Ehe und Familie gehörte zum sogenannten "Summer of Love", genau wie die Musik der auch in der Ausstellung in der Frankfurter Schirn-Kunsthalle gewürdigten Rockgruppe The Doors, die als "Wertezertrümmerer vom Dienst" in ihren Songs Drogenkonsum verherrlichten und zur Revolte aufriefen. Der ein paar Jahre später an seiner Heroin- und Alkoholsucht gestorbene Jim Morrison sang in dem Melodram "The End": "Father I want to kill you, Mother I want to fuck you!"

Die psychedelischen Drogen trieben viele Bands in das farbig glühende Weltall freigewordener Träume, über die sie nicht nur ihr Publikum vergaßen, sondern auch sich selbst. Rockstars wie Janis Joplin, Jimi Hendrix und Brian Jones erlagen früh ihrem exzessiven Lebensstil. "Sex, Drugs and Rock'n'Roll", als Religionsersatz gleichermaßen Individualität und Bindung simulierend, forderten unerbittlich ihren Tribut.

Vier Monate nach dem mythenträchtigen Woodstock-Festival ging der Traum von Liebe und Frieden beim Rock-Festival von Altamont endgültig zu Bruch. Das dämonische Potential der Bewegung entfaltete sich vor aller Augen. Ein Junge ertrank im LSD-Rausch, ein anderer raste vollgepumpt mit Drogen mit seinem Auto in die Menge und tötete zwei Zuschauer. Es gab zahllose Schwerverletzte durch Schlägereien. Die von den Rolling Stones als Ordner engagierte Motorrad-Gang Hell's Angels terrorisierte das Publikum. Als Mick Jagger den Song "Sympathy for the Devil" anstimmte, droschen die Angels auf Zuschauer ein und erstachen direkt vor der Bühne einen 18jährigen Schwarzen. Doch das Konzert ging weiter, als wäre nichts geschehen.

Die Ausstellung streift all dies nur ganz kurz. Dafür präsentiert sie eine Reihe psychedelischer Kunstobjekte, den bunten Porsche von Janis Joplin, ein paar "bewußtseinserweiternde" Ornamente und Mandala-Gemälde, visionäre Wohnwelten, Underground-Magazine, Poster und Plattencover, denen man ansieht, daß bei ihrer Herstellung wohl Drogen wie Cannabis oder LSD im Spiel waren.

In den berühmten "Lightshows" jener Zeit, die mit blubbernden Blasen und artifiziellen Farbeffekten zur Musik der Grateful Dead, der späten Beatles, der Doors, Velvet Underground oder Electric Prunes tranceartige Zustände herbeiführen wollten, mögen die "modern performers" der hedonistischen Lifestyle-Avantgarde vielleicht einen gewissen kulturgeschichtlichen Charme erkennen. Als Kunst - und sei es Pop-Art -, möchte man diesen sondermüllverdächtigen Trash aber eigentlich nicht bezeichnen.

Selbst der ekstatische Zeitgeist und die psychedelische Ästhetik von 1967, an deren Beginn unter anderem neben Andy Warhol und dem LSD-Professor Timothy Leary auch Hermann Hesses Klassiker "Steppenwolf" und "Siddharta" standen, waren künstlich herbeihalluziniert, was die rasche Kommerzialisierung der kurzen "Flower Power"-Träumerei schlagend bewies.

Auf die Blumenkinder folgten die Polit-Agitatoren

Und natürlich berief man sich auch zu Unrecht auf den literarischen Beatnik Jack Kerouac, von dessen intensivem und rauscherfülltem Dasein, existentieller Erfahrung und romantischem Lebensgefühl die 67er-Hippies nur träumen konnten. Seiner Tragik und Zerrissenheit, seiner Einsamkeit, seinem Hymnus auf das Leben, zu dessen Höhepunkten jene rauchgeschwängerte, blaßgraue Morgenstunde in einer Jazz-Kneipe in San Francisco zählt, begegneten die Blumenkinder mit Scott McKenzies gefälligem Hit "San Francisco", der schließlich zur subkulturellen International-Hymne avancierte.

Ein Jahr später, 1968, war der "Summer of Love", die Zeit der falschen Versöhnungen, dann auch schon wieder vorbei. Auf die friedlichen "Blumenkinder" und die mörderische Hippie-Kommune eines gewissen Charles Manson folgten die Polit-Agitatoren und harten "Streetfighters". Ein Stoßtrupp des Frankfurter SDS durchkämmte das im idyllischen Westend gelegene Szene-Lädchen "Heidi loves you Shop" eines gewissen P.G. Hübsch - aus dem später ein frommer Muslim werden würde -, um den schwer bekifft auf schmuddeligen Matratzen dämmernden Genossen den Marsch zu blasen und mit schwersten Sanktionen nach dem kommenden Sieg der Revolution zu drohen.

Und in dem populären Roadmovie "Easy Rider" wurde der Traum seiner Helden von Freiheit und Individualität gar zu einer tödlich verlaufenden Reise durch ein Amerika, das Vietnam zu sich nach Hause geholt hatte und zunehmend in Depression und Wirrnis versank.

Die Ausstellung in der Schirn Kunsthalle, Frankfurt, ist bis zum 12. Februar täglich außer montags von 10 bis 19, Mi./Do. bis 22 Uhr, zu sehen. Der Katalog kostet 29,80 Euro.

Öyvind Fahlströhm, "Esso-LSD" (1967): Promiskuität, Hedonismus und das Recht auf Faulheit


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