© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/06 13. Januar 2006

Privatunterricht als letzter Ausweg
Schulverweigerung: Religiöse und weltanschauliche Gründe / Rechtliche Auseinandersetzung mit Behörden
Tobias Westphal

Mit ihrem Wegzug haben freikirchliche Baptisten im Kreis Paderborn jetzt einen Streit beendet, den sie seit über einem Jahr mit den Behörden ausgetragen haben und der in einer Haft von zehn Tagen gipfelte. Aus religiösen Gründen weigerten sich die sieben baptistischen Spätaussiedlerfamilien, ihre schulpflichtigen Kinder auf eine öffentliche Grundschule zu schicken.

Ein Elternpaar hatte sein Kind bereits im Oktober 2003 von der Schule abgemeldet, die anderen sechs Elternpaare verweigern seit September 2004 ihren Kindern den Besuch der Schule. Sie kritisieren die Inhalte im öffentlichen Religions- und Sexualunterricht als "unchristlich". Außerdem führten die Eltern als Begründung an, daß sie sich durch bestimmte Unterrichtsinhalte in ihren Grundrechten auf Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie in ihren Elterngrundrechten verletzt sehen. Der Kreis Paderborn hatte gegenüber den Eltern geltend gemacht, daß die Schulpflicht Ausdruck und Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Erziehungs- und Bildungsauftrags ist, der nicht unterlaufen werden dürfe.

Aus vielfältigen Gründen werden auch in anderen Landstrichen der Bundesrepublik schulpflichtige Kinder von ihren Eltern nicht auf öffentliche Schulen gelassen. In Deutschland gibt es derzeit ungefähr 500 Kinder in 200 Familien, die entgegen der Schulpflicht von ihren Eltern nicht zur Schule geschickt werden. Deutschlandweit bekannt geworden ist auch der Fall der streng christlichen Glaubensgemeinschaft "Zwölf Stämme" in Augsburg, deren Mitglieder sich seit Jahren weigern, ihre Kinder auf öffentliche Schule zu schicken.

Grund hierfür ist bei den meist streng religiösen Eltern häufig die Kritik an Unterrichtsinhalten wie Darwinismus, Sexualkunde und liberalem Religionsunterricht. Die Eltern wollen ihre Kinder daher meist selber unterrichten - auch um sie vor Hänselei, Diskriminierung, Schlägen oder Drogen an staatlichen Schulen zu schützen.

Zwar haben die Eltern einen Erziehungsauftrag und grundsätzlich das Recht, ihre Kinder nach ihren Vorstellungen zu erziehen. Zum anderen hat der Staat die Pflicht, einen Schulbesuch unterrichtspflichtiger Kinder zu verlangen und durchzusetzen. In Artikel 7 des Grundgesetzes heißt es, daß das gesamte Schulwesen unter der Aufsicht des Staates steht. Die Erziehungsberechtigten haben jedoch das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen.

In Artikel 7 wird zwar das Recht zur Errichtung von privaten Schulen gewährleistet. Jedoch bedürfen private Schulen als Ersatz für öffentliche Schulen der Genehmigung des Staates und unterstehen den Landesgesetzen. Die Genehmigung sei zu erteilen, wenn die privaten Schulen in ihren Lehrzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen. Die staatliche Schulverwaltung steht damit vor dem Dilemma, bei "Schulverweigerern" einerseits die Schulpflicht durchsetzen zu müssen, andererseits aber die Kinder nicht mit der Polizei aus ihrer Familie abholen zu wollen.

Im Fall der baptistischen Familien ahndete der Kreis Paderborn die Schulpflichtverletzung durch die Eltern als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeldbescheid in Höhe von je 250 Euro pro Elternteil. Gegen die 14 Bußgeldbescheide wurde jeweils Einspruch eingelegt. Deswegen mußte sich die Staatsanwaltschaft Paderborn damit befassen. Zwei Elternpaare zogen unterdessen ihren Einspruch zurück, ihre vier Bußgeldbescheide wurden somit rechtskräftig. Im August 2005 hatte das Amtsgericht Paderborn in zwei Fällen den Eltern das Teilsorgerecht entzogen.

Einer eventuellen Vorführung der Kinder in der Schule durch die Polizei nach dem Ende der Sommerferien sind manche Familien zuvorgekommen, indem sie nach Österreich zogen, wo keine Schulpflicht, sondern nur "Unterrichtspflicht" herrscht. Andere Kinder besuchen seit Oktober die Freie Christliche Schule in Heidelberg, die als Privatschule in Baden-Württemberg anerkannt ist.

"Hier endet unsere Zuständigkeit. Deshalb werden wir die Akten schließen", erklärt der Paderborner Landrat Manfred Müller. "Unsere Aufgabe ist es, dafür Sorge zu tragen, daß die Kinder eine staatlich anerkannte Schule besuchen und damit letztlich der staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag erfüllt wird. Das ist derzeit der Fall", sagte Müller.   

Kinder von Schulverweigerern: Eltern drohen Haft- und Geldstrafen


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