© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/06 13. Januar 2006

BRIEF AUS BRÜSSEL
Strategischer Partner Rußland
Andreas Mölzer

Die Aufregung um die russischen Erdgaslieferungen an die Ukraine hat einmal mehr gezeigt, daß die EU ihre geopolitische Ausrichtung klären muß. Für Europa wird es von entscheidender Bedeutung sein, mit Rußland - einem geo- und energiepolitischen Schlüsselland - ein gutes Einvernehmen zu finden. Die Europäer werden zu klären haben, ob sie die russische Einflußsphäre im postsowjetischen Raum respektieren oder ob sie sich zu Helfern des US-Vormachtstrebens in Osteuropa machen wollen.

Das Verhalten des staatlichen Gasprom-Konzerns hat gezeigt, daß die Konstanten russischer Außenpolitik seit Peter dem Großen die gleichen geblieben sind. Dazu zählt vor allem die Verteidigung des russischen Einflusses im "nahen Ausland", wie die Ex-Sowjetrepubliken von Moskau genannt werden. Auch hat Präsident Wladimir Putin nicht vergessen, daß die "orange Revolution" ohne die Finanzhilfe des US-Milliardärs George Soros nicht möglich gewesen wäre. Der Lieferstopp russischen Erdgases war für Kiew vorhersehbar. Der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko mußte damit rechnen, daß seine EU-Annäherung und mehr noch seine Nato-Ambitionen Reaktionen seitens Moskaus nach ziehen mußten.

Im letzten Jahrzehnt sah sich Rußland mit einer immer engeren Einkreisung durch die USA konfrontiert. Neben der Aufnahme der drei baltischen Republiken in die Nato mußte Moskau dem Regimewechsel in Georgien ebenso hinnehmen wie der Stationierung von US-Truppen im zentralasiatischen Usbekistan. Und mit der Türkei kontrolliert ein Verbündeter Washingtons den Zugang zum Mittelmeer. Fast hatte es den Anschein, daß der Plan des in Warschau geborenen Ex-US-Präsidentenberaters Zbigniew Brzezinski, durch Förderung der Zentrifugalkräfte im postsowjetischen Raum dem "russischen Imperialismus" den Boden zu entziehen, erfolgreich sein sollte.

Nach den jüngsten Ereignissen sollte Brüssel Kiew klarmachen, daß eine Annäherung an die EU sowie eine Nato-Mitgliedschaft nur in Konfrontation mit Moskau möglich wäre. Ebenso scheidet die EU, die durch die letzte Erweiterungsrunde an die Grenzen ihrer finanziellen Belastbarkeit gestoßen ist, als Geldgeber aus. Gleichzeitig muß die EU ihre schon jetzt sehr engen nachbarschaftlichen Beziehungen zur Ukraine noch weiter ausbauen und vertiefen. Wenn die Beteuerungen der EU-Polit-Nomenklatura, die geopolitische Bedeutung Europas steigern zu wollen, mehr sein sollen als leere Worthülsen, dann ist eine strategische Partnerschaft mit Rußland erforderlich. Moskau bekäme so Gewißheit, daß seine historische Einflußsphäre in Osteuropa gewahrt bleibt, während sich Europa aus der Umklammerung der USA lösen könnte. Die Achse Paris-Berlin-Moskau gegen den Irak-Krieg war ein erster Schritt in diese Richtung.

Ein Verstecken hinter der "transatlantischen Partnerschaft", wie es bisher von Europäern gerne praktiziert wurde, mag zwar bequem sein, beraubt die EU allerdings der außenpolitischen Gestaltungsfreiheit. Zudem zeigt das Verhalten Washingtons - etwa die Ereignisse im Vorfeld des Irak-Kriegs sowie die US-Bestrebungen, den EU-Beitritt der Türkei durchzuziehen -, daß jenseits des Atlantiks ein sehr einseitiges Verständnis des Begriffs "Partnerschaft" herrscht.

 

Andreas Mölzer ist Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung "Zur Zeit" und seit 2004 FPÖ-Europaabgeordneter.


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