© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/06 13. Januar 2006

Das Gewissen sieht mit
Kino: "Der ewige Gärtner" von Fernando Meirelles
Michael Insel

Es gab einmal eine Zeit - Mitte der siebziger Jahre, nach Vietnamkrieg und Watergate-Skandal -, als intelligente Polit-Thriller aus den großen Hollywood-Studios keineswegs eine Seltenheit waren: Alan J. Pakulas Streifen "Zeuge einer Verschwörung" (1974) und "Die Unbestechlichen" (1976) etwa oder Sydney Pollacks "Die drei Tage des Condor" (1975).

Dann kam im Sommer 1975 Steven Spielbergs "Der weiße Hai" in die Kinos, lockte in den ersten 38 Tagen 25 Millionen Zuschauer an und öffnete den Produzenten die Augen für das ganz große Geld, das sich mit action- und effektgeladener Popcorn-Unterhaltung ohne zeitkritischen Anspruch, Appelle an das liberale Gewissen oder irgendein Anliegen jenseits des kommerziellen einspielen läßt: Es war die Geburtsstunde des Blockbusters.

Drei Jahrzehnte und eine Handvoll löblicher Ausnahmen später scheint sich das Blatt endgültig zu wenden. John Sayles' "Silver City" und Terry Georges "Hotel Ruanda" machten erst den Anfang: Allein in den nächsten Wochen laufen Filme über internationalen Waffenschmuggel (Andrew Niccols "Händler des Todes"), die McCarthy-Hexenjagden (George Clooneys "Good Night and Good Luck") und Verstrickungen zwischen Ölindustrie und Terrorismus an (Stephen Gaghans "Syriana").

Die britische Produktion "Der ewige Gärtner" nach dem Roman von John le Carré fügt sich nahtlos in diese Reihe ein: ein kurzweiliger und doch zum Nachdenken anregender Film über schmutzige Pharmageschäfte in der Dritten Welt. Regie führte der Brasilianer Fernando Meirelles, dessen internationales Debüt "City of God" 2002 begeistert aufgenommen wurde. Mit Hilfe seines Kameramannes César Charlone ist es Meirelles gelungen, afrikanische Shantytowns ebenso grell, vor prallem Leben und verzweifelter Armut berstend auf die Leinwand zu bringen wie damals die Favelas von Rio de Janeiro.

In langen Rückblenden erzählt sein neuer Film eine komplexe Geschichte über Liebe, Macht, Geldgier, den Sumpf aus Korruption und Entwicklungshilfe. Im Mittelpunkt steht die stürmische Liebschaft zwischen dem eher sanftmütig veranlagten Justin Quayle (Ralph Fiennes) und Tessa (Rachel Weisz), einer so glutäugigen wie hitzköpfigen Idealistin.

Als der Nachwuchsdiplomat an das Britische Hochkommissariat nach Nairobi versetzt wird, beschließt das Paar zu heiraten. Einige Monate später wird Tessas Leiche an einem gottverlassenen Strand im Norden Kenias aufgefunden. Im Bemühen, die politischen und persönlichen Intrigen zu entwirren, die den brutalen Mord an seiner Frau umranken, wächst der besonnene Hobbygärtner in die Rolle eines furchtlosen Spürhundes hinein.

In den Slums um Nairobi, wo ein Pharmakonzern Patienten ohne deren Wissen Medikamente verabreicht, die sich noch im Entwicklungsstadium befinden, nimmt Justin die Fährte auf. Er verfolgt sie nach Berlin - altvertrautes Pflaster aus le Carrés Spionageklassikern -, in hohe Londoner Regierungskreise, wo ihm sein Vorgesetzter, der zwielichtige Sir Bernard Pellegrin (wieder einmal sehenswert: Bill Nighy), beim Essen im exklusiven Herrenclub den Appetit verdirbt, bis in einem von Banditen belagerten Dorf im Sudan Vor- und Postmoderne katastrophal aufeinanderprallen.

Doch ist "Der ewige Gärtner" mehr als nur ein packender Krimi über die unlauteren Machenschaften, mit denen Großbritannien am vermeintlichen Ende der Geschichte seine Interessen und sein Ansehen als außenpolitische Macht zu wahren versucht. Im Laufe seiner Ermittlungen sieht sich Justin ebenso mit der Gewißheit konfrontiert, von seinem Kollegen und engen Freund Sandy (Danny Huston) verraten worden zu sein, wie mit dem Verdacht, daß Tessa in eine Affäre mit mindestens einem anderen Mann verwickelt war.

Die Zweifel, die er gegenüber den eigenen Erinnerungen an sein Eheglück zu hegen beginnt, bestätigen ihn jedoch nur in seiner Entschlossenheit, Tessas halbgeheimem Doppelleben als politische Aktivistin auf den Grund zu gehen. Auch den fast schon existentialistischen Dreh, den le Carré seinem Stoff am Ende geradezu als Markenzeichen verpaßt, vollzieht Meirelles überzeugend nach.

Justin (Ralph Fiennes): Der Hobbygärtner wird zum Spürhund Foto: kinowelt


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