© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/06 13. Januar 2006

Damals hatten Leichen noch Manieren
Schöner morden: Vor fünfundzwanzig Jahren starb Agatha Christie, Schöpferin von Hercule Poirot und Miss Marple
Gesa Steeger

Queen of crime" nennt man Agatha Christie-Mallowan, geborene Miller. Doch ist sie wirklich eine Königin des Verbrechens? Eigentlich nicht, möchte man sagen, so schön wird bei ihr gemordet. Grausige Details wirklicher Verbrechen werden höflich verschwiegen. Und sollte die Leiche wirklich einmal in einer ungewöhnlich großen Blutlache aufgefunden werden, ist das keine Effekthascherei, sondern ein Hinweis auf den Tathergang.

Als Kulisse dieser mörderischen Kammerspiele wählt Agatha Christie englische Landhäuser und Stadtvilla, Luxusdampfer und Luxuszüge sowie Hotels an der Riviera oder anderen von Engländern kolonialisierten Stätten. Das soll nicht heißen, ihre Protagonisten wären ausschließlich unter den oberen Zehntausend zu finden: Reichtum ist willkommen, wichtiger aber Bildung.

Die Mutter starb, der Mann ging fremd

Oft begegnet man bei Christie der jungen Dame, die sich durch unglückliche Umstände gezwungen sieht, mit bürgerlicher Arbeit ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Sie verdingt sich als Gesellschafterin, Erzieherin, Lazarettschwester oder als arme Anverwandte auf einem Gut. Niemals wird sie ihre Hände in Spülwasser waschen, aber immer in Unschuld. Außerdem findet sie am Ende den jungen Gentleman, der ihr die ihr zustehende gesellschaftliche Stellung verschafft. Dieses Aschenputtel ist das Alter ego der Agatha Christie!

Agatha Mary Clarissa Miller wurde 1890 im englischen Seebad Torquay geboren. Ihre Autobiographie "Meine gute alte Zeit" (1977) gewährt Einblick in ein viktorianisches Familienidyll. 1914 heiratete sie Archibald Christie, einen schneidigen Leutnant aus dem Königlich Britischen Fliegerkorps. Während des Ersten Weltkriegs diente sie im Lazarett und später in einer Apotheke. Dort erwarb sie das Wissen für ihre späteren Morde. Ende des Krieges fand sie sich als Hausfrau in einem kleinen Londoner Appartement wieder.

Um das Haushaltsbudget aufzubessern, begann sie zu schreiben. 1921 erschien ihr Erstling "The Mysterious Affair at Styles" (1921) und mit ihm der allerenglischste Detektiv des zwanzigsten Jahrhunderts: Hercule Poirot, der Luxus wohl zu schätzen weiß und nur den Fehler hat, Ausländer zu sein, Belgier zumal. Gleich zu Beginn ließ ihn Christie nach England reisen, um sich dort zur Ruhe zu setzen. Er stolperte in genannte Affäre und wurde von der begeisterten Leserschaft verpflichtet, kraft seiner kleinen grauen Zellen weitere fünfzig Jahre für Recht und Ordnung zu sorgen.

Daß sie auch ohne ihren Herkules hervorragende Krimis schreiben konnte, bewies Christie 1926 mit "Alibi" ("The Murder of Roger Ackroyd"). Sie bediente sich eines Kunstgriffes, der damals die Leser erstaunte, die Kollegen empörte und hier mit Rücksicht auf künftige Leser verschwiegen bleiben soll. Der Durchbruch war gelungen!

Miss Marple und Poirot waren altmodisch durch und durch

Bis hierher war die Welt der Agatha Christie, wenn schon nicht übermäßig glücklich, so doch in Ordnung. Doch mit dem Tod ihrer Mutter kam die Wende. Zunächst brachte die Auflösung des Elternhauses sie an den Rand des Nervenzusammenbruchs, dann gestand ihr Mann seine Untreue. Agatha tauchte ab. Eine fieberhafte Suche von Scotland Yard blieb lange erfolglos. Bis man sie in einem kleinen Hotel in Harrogate fand, wo sie sich unter dem Namen der Geliebten ihres Mannes eingemietet hatte. Ihre Fans waren voller Mitgefühl, Spötter indes sprachen von einem gelungenen Werbefeldzug. Christie ließ sich scheiden. Sie reiste in den Orient, besuchte die Ausgrabungen in Ur und heiratete den dort tätigen, um etliche Jahre jüngeren Archäologen Max Mallowan. Das war 1930.

Den Bruch mit den Werten ihrer Kindheit kompensierte Agatha Christie im gleichen Jahr mit der Erfindung der viktorianischen Jungfer schlechthin: Miss Jane Marple ("Mord im Pfarrhaus"). Sie ist das Aschenputtel in Alt. Völlig unauffällig, nur mit Strickzeug und ihrer Menschenkenntnis bewaffnet, kann sie sich im Kreise der Verdächtigen bewegen.

So unterschiedlich Miss Marple und Hercule Poirot auftreten - altmodisch durch und durch waren sie von Anfang an. Schon in den dreißiger Jahren handeln sie als stille Verfechter der guten alten Zeit. Nach dem Krieg mutieren sie zu Schildkröten, in den Sechzigern zu Fossilien. Aber sie machen munter weiter, in Büchern, Film und Fernsehen: Erst 1975 ("Curtain") läßt Christie ihren Hercule Poirot sterben, Miss Marple darf im zarten Alter von 101 Jahren ihren letzten Fall lösen ("Sleeping murder", 1976).

Hier liegen Krux und Zauber dieser Kriminalromane. Alles an ihnen ist altmodisch und letztlich auch ohne psychologische Tiefe. Christies Helden sind von der Stange, die Schauplätze Kulisse, der Stil gepflegt bis zur Langeweile. Einzig der Fall erweist sich als hintergründig und verzwickt, durchtrieben und bizarr. Ist aber der Mörder erst einmal entdeckt, wird er aus der Gesellschaft der Anständigen entfernt, wie ein Krebsgeschwür in einer schlechten Arztserie - ohne Metastasen oder Chemotherapie. Dann ist die Welt, wenn schon nicht übermäßig glücklich, so doch wenigstens in Ordnung.


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