© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 03/06 13. Januar 2006

Zeitgeschichte:
Kidnapping im Kalten Krieg
Christoph Martinkat

In den 1970ern, den Jahren der "deutsch-deutschen Entspannung", hatte Wolf Biermann die ambivalente Atmosphäre des späten Kalten Krieges eindringlich besungen. In "Rencontre à Paris", gemünzt auf die nach seiner Ausbürgerung in DDR zurückgebliebenen Freunde, heißt es in einer Mischung aus Wehmut und Mißtrauen: "was wagten wir früher, heute wägen wir ab: Ost gegen West, Staat gegen Staat (...) wir schätzen uns wir, wir, bis an das Grab, wir schätzen uns ab und wittern Verrat!" Daß Biermanns Witterung gegenüber seinen "falschen Freunden", wie er sie rückblickend nannte, zutreffend war, hat die Zeitgeschichte ans Tageslicht gebracht. Die 1950er Jahre waren die Hoch-Zeit des Kalten Kriegs: Parteien, Nachrichtendienste und Presseorgane, sie alle waren am Ränkespiel der politischen Systeme beteiligt, das Menschenschicksale bestimmte und zuweilen zerstörte.

Vier Entführungsfälle, Vorläufer der "torture taxis"

Dabei verfolgte die DDR ihre "Staatsfeinde" ohne Gnade - bis hinein nach West-Berlin. Bis zum Mauerbau wurden über 600 Menschen aus dem Westteil der Stadt in die Sowjetzone verschleppt. Der Dokumentarfilm "Entführt - Menschenraub im Kalten Krieg" (13. Januar, 20.15 Uhr, 3sat) stellt vier von ihnen vor: Darunter auch den gelegentlich für uns schreibenden Autor Erich Kieckhöfel, der - damals SED-Nachwuchskader - sich 18jährig nach West-Berlin abgesetzt und mit widerständigen SPDlern zusammengetan hatte. Ein "guter Freund" lockte ihn über die Grenze. Es folgten Verhaftung, Verurteilung als "Parteiveräter", fünf Jahre Sibirien. Dort war es vermutlich kälter als an den Zielorten der aktuellen "torture taxis".


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