© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/06 20. Januar 2006

Mehr als ein Betriebsunfall
Bundestagswahl: Union forscht nach den Ursachen für ihr enttäuschendes Abschneiden / Analyse der Konrad-Adenauer-Stiftung
Tobias Westphal

CDU und CSU waren mit Betrachtungen des eigenen Wahlkampfs vor der Bundestagswahl 2005 bislang sehr zurückhaltend. Nur auf dem Deutschlandtag der Jungen Union (JU) Ende Oktober in Augsburg wurden tiefer gehende Fragen nach den Ursachen für das aus Sicht der Union enttäuschende Abschneiden gestellt - etwa nach dem eigenen Wertefundament und dem Leitbild des bürgerlichen Lagers (JF 44/05). Ansonsten wurde von den beiden Parteiführungen das schlechte Abschneiden mit Plattheiten begründet; man habe "zuviel von der 'Flat Tax' und zuwenig von den Menschen" geredet, es fehlte die "soziale Komponente" und der Wahlkampf sei zu "wirtschaftslastig" gewesen (JF 50/05). Das Thema "Analyse" hätte danach für beide Parteien erledigt sein können.

SPD lag in zwölf Ländern vor der Union

Doch Stephan Eisel, Hauptabteilungsleiter für Politische Bildung und Kommunalpolitik der Konrad-Adenauer-Stiftung, stellte in der Dezember-Ausgabe der Monatszeitschrift Die Politische Meinung eine umfassende Analyse des Wahlkampfes vor. Er zeigt zunächst auf, daß Wahlanalysen benötigt werden, um zu erkennen, was die Wähler von den Botschaften und den Ideen einer Partei halten. Die Bundestagswahl 2005 sei "mehr als ein Betriebsunfall" gewesen. Die SPD wurde in zwölf der sechzehn Bundesländer stärker als die Union. Das Wahlergebnis lag 3,3 Prozentpunkte unter dem schwachen Ergebnis des Jahres 2002 und damit auf dem Niveau der verlorenen Wahl des Jahres 1998.

Zwar sei das Parteiprogramm der CDU "klar und gut lesbar" gewesen. Allerdings hätten ehrenamtliche Wahlkämpfer wegen der vorgezogenen Wahl nur wenig Zeit gehabt, "sich mit den Inhalten zu identifizieren". Denn die Inhalte des christdemokratischen Programms waren "mehr Kopf- und Loyalitätsbeschlüsse als Herzensanliegen". Damit wurde das stärkste Kampagneninstrument vernachlässigt; die zirka eine Million Mitglieder der Union. "Wenn das Herz der Mitglieder im Wahlkampf nicht schneller schlägt und ihre Bekenntnisfreudigkeit gebremst ist, sind Wahlen nicht zu gewinnen." Deswegen, folgert Eisel, müsse die CDU-Führung ihre Kreisverbände bei der Entscheidungsfindung stärker einbinden.

Richtig sei die Wahlstrategie des "Kurses der Ehrlichkeit" gewesen. Jedoch war "das Wahlprogramm als 'Regierungsprogramm' betitelt worden, ständig wurden in Personalspekulationen bereits Kabinette zusammengestellt, dankbar die guten Umfragezahlen als quasi vorweggenommene Wahlentscheidung kommuniziert: Mancher Wähler stimmte deshalb nicht mehr über das Ende von Rot-Grün ab, sondern ärgerte sich über die mangelnde Demut vor dem Wählerwillen. Rot-Grün kämpfte um Stimmen, die Union verteidigte die vermeintlich schon erreichten Prozentanteile." So sei es zu "einem merkwürdigen Wahlkampf des realen Oppositionsführers Gerhard Schröder gegen die gefühlte Kanzlerin Angela Merkel" gekommen, so Eisel.

Vor allem wurde jedoch von der Union die "Abteilung Attacke" vernachlässigt, stellt Eisel fest. "Seit der zu früh einkassierten 'Leitkulturdebatte' gab es seitens der Union kein emotional polarisierendes kulturelles Streitthema mit der Linken mehr." Die Union habe keine Themen und Begriffe besetzt und keinen Streit riskiert.

Friedrich Merz hat der Partei im Wahlkampf gefehlt

Da mit Friedrich Merz ein populärer und kompetenter Politiker gefehlt habe und "Edmund Stoibers öffentlich zelebrierte Unentschlossenheit" den Kurs der Ehrlichkeit "konterkarierte", habe es Angela Merkel schwer gehabt. Zwar sei sie mit der Benennung Paul Kirchhofs wieder in die Offensive gekommen. Doch war die Wahlkampfführung der Union nicht darauf vorbereitet, daß Kirchhof binnen Tagen durch die SPD zum Feindbild stilisiert wurde, kritisiert Eisel. Kirchhof wollte anfangs eine einheitliche Besteuerung; die sogenannte "Flat Tax". Die CDU ruderte zurück, konnte aber nicht erklären, warum sie für den linear-progressiven Steuertarif, jedoch zugleich für die einheitliche Gesundheitsprämie eintrete. Man konnte also noch erklären, was man wolle - jedoch nicht mehr, warum man es wolle. "Die Menschen wollen auch wissen, warum bestimmte Vorschläge gemacht werden, welches Werteverständnis dahintersteht", stellt Eisel fest. Die Union konnte es nicht erklären, obwohl für sie die Antwort auf die Frage nach dem "Warum" ihrer Politik eigentlich auf der Hand liege: das christliche Menschenbild. "Hier liegt der Kern sozialer Gerechtigkeit. Es geht um eine Politik, die Eigenverantwortung und Solidarität als zwei Seiten der gleichen Medaille begreift. Je mehr der Einzelne für sich selbst sorgt, um so mehr können er und die staatliche Gemeinschaft für wirklich Bedürftige tun", schreibt Eisel in seinem Beitrag.

Auch in der Familienpolitik sei es im vergangenen Wahlkampf mehr um Wirtschaft als um die Familie als solche gegangen. "Diese Ökonomisierung der Familienpolitik vernachlässigt die zentrale Aufgabe der Familie als Hort des Privaten, der Geborgenheit, der Verläßlichkeit zwischen den Generationen und der Wertevermittlung." Die Analyse des Wahlkampfes von CDU und CSU endet mit einem Ausblick: "In einer Zeit des immer schnelleren Wandels wollen die Menschen Halt und Orientierung." Werteorientierte Politik auf solidem Fundament beschreibe deshalb den Anspruch der Union. "Hier liegt die Chance der CDU".

Im Internet: http://www.kas.de/publikationen/die_politische_meinung.html


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