© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/06 20. Januar 2006

Neutralität und Volksabstimmung
Österreich I: Ein FPÖ-Volksbegehren könnte die österreichische EU-Ratspräsidentschaft empfindlich stören
Michael Howanietz

Das von der FPÖ beantragte Volksbegehren "Österreich bleib frei!" wurde vom Innenministerium auf die Woche zwischen dem 6. und 13. März 2006 festgelegt. Eine Terminwahl, mit der die regierende ÖVP nicht glücklich sein kann. Das von den Medien zum "Anti-EU-Volksbegehren" stilisierte Plebiszit macht sich nicht sehr gut im Halbjahr der österreichischen EU-Präsidentschaft.

Bundeskanzler Wolfgang Schüssel zieht es dennoch vor zu schweigen und abzuwarten. Schließlich bleibt dem ÖVP-Chef die Hoffnung, der FPÖ-Vorstoß könnte aufgrund zu geringer Unterstützung seitens der Bevölkerung versanden, ohne in Brüssel hohe Wellen geschlagen zu haben. Selbst FPÖ-Bundesobmann Heinz-Christian Strache, der bei den Wiener Gemeinderatswahlen 2005 seine Partei als dritte Kraft etablierte (JF 44/05), gibt sich bescheiden. Ziel sei es, die zu einer Behandlung im Parlament erforderlichen 100.000 Stimmen zu erreichen. Tatsächlich wäre dies jedoch ein enttäuschendes Ergebnis, kennt die Geschichte österreichischer Volksbegehren doch Beispiele, die die Millionengrenze an Unterstützungserklärungen übertroffen sahen.

Aber der 36jährige Strache, erst seit April 2005 Parteichef, tut gut daran, tief zu stapeln. Zwar glaubt er, daß eine Mehrheit der Österreicher - darunter auch viele Nicht-FPÖ-Wähler - hinter seinen Forderungen an den Nationalrat steht, die da sind: "Der Bestand der österreichischen Neutralität ist als Grundprinzip der Verfassung zu garantieren. Weder die Zustimmung zu einer EU-Verfassung noch zu einem allfälligen EU-Beitritt der Türkei darf ohne Zustimmung der österreichischen Bevölkerung Gesetzeskraft erlangen."

Da seitens dieser Bevölkerung aber keines der drei Reizthemen als hochaktuell wahrgenommen wird, ist eine gefühlte Mehrheit kein Erfolgsgarant. Das wissen freilich auch die anderen Parlamentsparteien. Entsprechend lau sind ihre Stellungnahmen. SPÖ und Grüne, denen die FPÖ vorwirft, knieweiche "Scheinopposition" zu betreiben, halten das Volksbegehren für ein ungeeignetes Mittel, Besserungen herbeizuführen, sehen die Forderungen in anderen Wortmeldungen aber im Prinzip als gerechtfertigt an.

Auch der kleine Regierungspartner, das Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ), übt sich in politischer Schizophrenie. Wo immer möglich, werden die EU und ihre Institutionen kritisiert, allerdings nur solange, bis der große Partner ÖVP die orangen Wortspender zurückpfeift. BZÖ-Chef Jörg Haider weiß allzu gut, daß er nach dem Bruch mit der FPÖ nun der ÖVP auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist. Bei allen drei Wahlen nach der BZÖ-Gründung schaffte die Partei nirgends den Sprung in Landtag oder Gemeinderat. Ein Koalitionsbruch in Wien würde ohne Zweifel das sofortige Ende des BZÖ und ebenso der politischen Karriere des 55jährigen Ex-FPÖ-Chefs bedeuten.

Ein Umstand, der Strache (der einst großer Haider-Anhänger war) durchaus gelegen kommt. Die FPÖ kann Profil zeigen, ohne auf die Befindlichkeiten von Bündnispartnern Rücksicht nehmen zu müssen. Entsprechend vollmundig kündigte Strache letztes Wochenende das Volksbegehren beim FPÖ-Neujahrstreffen in der Welser Bosch-Halle als "Plebiszit gegen Wolfgang Schüssel" und "spürbare Ohrfeige für den Schüssel-Haider-Kuschelkurs gegenüber Brüssel" an.

Es gehe darum, Schüssel "einen heißen Frühling" zu bereiten und den Österreichern zu zeigen, "daß man auch den aufrechten Gang wählen kann und nicht wie die Regierung, SPÖ und Grüne auf den Knien nach Brüssel zu rutschen braucht". Die Fremdbestimmung aus Brüssel habe ein unerträgliches Maß erreicht. Die Einleitung eines Austrittsverfahrens, dem andere Mitgliedstaaten folgen könnten, habe Charme.

In seiner rund eineinhalbstündigen Rede versprach Strache zudem, "wieder der Stachel im Fleisch der Abgehobenen und Mächtigen im Land" zu werden, was die etwa 2.500 Anwesenden mit viel Applaus bedachten. Strache wiederholte in Wels auch seine Forderung, jene Ausländer, die nicht bereit seien, sich in Österreich zu integrieren, müßten abgeschoben werden: "Eine Minuszuwanderung ist das Gebot unserer Zeit".

Doch der heikelste Punkt seiner Ausführungen, die Überlegung eines EU-Austrittsverfahrens, ist nicht ganz so abwegig, wie sie zunächst scheint. Im Unterschied zu anderen EU-Staaten haben EU-Skepsis und -Müdigkeit in Österreich zu einer regelrechten Anti-EU-Stimmung geführt. Bereits vor der im Dezember erzielten EU-Budgeteinigung, die zu einer Verdoppelung der österreichischen Nettobeiträge führte, zeichneten sämtliche Umfragen ein für die laufende Ratspräsidentschaft ernüchterndes Stimmungsbild.

Liegt der Anteil der EU-Gegner im europäischen Durchschnitt weit unterhalb der 50-Prozentmarke, liegt er in Österreich bei über 60 Prozent. Lehnen in anderen EU-Staaten 30 bis 50 Prozent der Bevölkerung einen Beitritt der Türkei ab, sind es in Österreich knapp 80 Prozent. Die erwähnte Budgeteinigung tut das ihre, die vorherrschende Antipathie zu vertiefen. Laut Umfragen stimmen sechs von zehn Österreichern Strache zu, wenn er sagt: "Sollte sich die Mitgliedschaft Österreichs nicht endlich auch für die Österreicherinnen und Österreicher rentieren, macht diese Mitgliedschaft keinen Sinn mehr."

Für die Nationalratswahl im Herbst 2006 peilt Strache ein zweistelliges Ergebnis an (2002 waren es mit Haider zehn Prozent). Damit könne man dritte Kraft werden und eine rot-grüne Koalition verhindern. Die zweite Märzwoche wird möglicherweise erste Anhaltspunkte in diese Richtung liefern.

Foto: FPÖ-Chef Strache in Wels: "Plebiszit gegen Wolfgang Schüssel"


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