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04/06 20. Januar 2006
Heterogener Herrenstand Burgen und Schlösser verkünden noch heute die einstige Macht und Größe des Adels. Differenziert und sehr kompakt legt Walter Demel dar, was der Adel für die europäische Kultur bedeutete. Der Autor erörtert das Mittelalter, bearbeitet intensiv die frühe Neuzeit und endet in der Gegenwart. Allerdings interpretiert er zu wenig. Der europäische Adel, schreibt Demel, war einzigartig. Außerhalb Europas existierte nichts Vergleichbares. Normen und Privilegien, die der Glaube legitimierte, daß "Höherwertigkeit" vererbt würde, konstituierten den adeligen Geburtsstand. Wie kam es dazu? Der Leser erhält nur spärliche Hinweise. In Spätantike und Frühmittelalter habe der Adel durch das Christentum religiöse Weihe erhalten. Demel hätte ergänzen können, daß der Erbgedanke unzählige dynastische Kriege verursachte, die Europa bis ins 18. Jahrhundert plagten und verheerten. Adelige leisteten ihren Herrschern häufig Waffendienst, herrschten gleichzeitig über bäuerliche Vasallen, die ihnen Abgaben und Frondienste schuldeten, dafür aber Schutz und Sicherheit beanspruchen durften. Eigene Gerichtsbarkeit, kirchliche Immunität, Steuerfreiheit, das Privileg, Staats- und Hofämter zu erhalten, gehörten jahrhundertelang zu adeligen Vorrechten. Der Adel war sozial gespalten. Das Spektrum umfaßte Kaiser genauso wie verarmte Blaublütige, die Gefahr liefen, ihre Titel zu verlieren. Nichtadelige konnten nobilitiert werden, auch differierte der Adel je nach Land und Region. Erst Peter der Große formierte zum Beispiel den russischen Adel zu einer ständischen Korporation. In Westeuropa verschmolzen Adel und Bürgertum, während deutsche Hochgeborene selten Bürgerliche heirateten. Demel erläutert adelige Bildungswelten und Normen. Die europäische Kultur kennzeichnet große soziale Ungleichheit - auch dafür steht der Adel. Ob die Abschaffung der ständischen Privilegien zu einem sozialgeschichtlichen Bruch führte oder sich neue "Herrenstände" bildeten, läßt Demel leider unbeantwortet. Insgesamt ist das Buch informativ, es fehlt nur die universalgeschichtliche Reflexion. Walter Demel: Der europäische Adel. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, C.H. Beck, München 2005, 128 Seiten, broschiert, 7,90 Euro |
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