© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/06 20. Januar 2006

Nüchternheit statt weiterer Schnellschüsse
Die Kommission zur Ermittlung der Opferzahl des Bombenangriffs auf Dresden 1945 hält sich nach vorschnellen Ergebnissen nun zurück
Hans-Joachim von Leesen

Am 24. November 2004 konstituierte sich unter Leitung des Oberbürgermeisters von Dresden, Ingolf Roßberg (FDP), eine Kommission von Wissenschaftlern, um die Zahl der Opfer der britischen und US-amerikanischen Luftangriffe auf Dresden vom 13. und 14. Februar 1945 möglichst exakt zu ermitteln.

Wie die Sächsische Zeitung damals meldete, würde mit dem Ergebnis dieser Arbeit in etwa einem Jahr gerechnet. Der Oberbürgermeister führte aus, welche Resultate der Forschungsarbeit er erwartete: Die Kommission sollte den "rechtskonservativen und neonationalistischen Kreisen" den Wind aus den Segeln nehmen, die den bisher offiziösen Totenzahlen von etwa 35.000 nicht trauten, sondern von höheren Verlusten ausgingen. Das aber sei eine "ebenso dreiste wie gefährliche Instrumentalisierung". Im übrigen seien die höheren Zahlen auf "von der NS-Propaganda gefälschte Informationen" zurückzuführen.

"Den Rechtsradikalen die Argumente nehmen"

Man mußte der Veröffentlichung Mißtrauen entgegenbringen, schien sie doch eine ergebnisoffene Untersuchung auszuschließen: Der Oberbürgermeister bemühte sich offenkundig, den Wissenschaftlern das Ziel vorzugeben. Das Mißtrauen wurde verstärkt, als der aus dem Militärgeschichtlichen Forschungsamt MGFA (das dem Bundesverteidigungsministerium zugeordnet ist) entstammende Historiker Rolf-Dieter Müller, der der Kommission vorstand, das vom Oberbürgermeister in Aussicht gestellte Datum der Veröffentlichung der Untersuchungsresultate nicht abwartete, sondern schon im Februar 2005 "erste Ergebnisse" öffentlich verkündete - ohne sich, wie man später erfuhr, vorher mit der Kommission darüber abgestimmt zu haben. Laut Financial Times Deutschland vom 12. Februar 2005 sprach er von nur noch "mindestens 25.000 Toten". Er meinte, auf diese Zahl könnten "maximal zwanzig Prozent aufgeschlagen werden". Dabei berief er sich auf Leichenbergungsberichte der Behörden und Hilfsorganisationen wie des Technischen Hilfswerks (THW), obwohl es diese Organisation 1945 noch nicht gab. Spiegel online ließ vier Tage später Rolf-Dieter Müller noch einmal zu Worte kommen. In einem Interview bestätigte er die 25.000 und unterstrich, daß man damit "den Rechtsradikalen die Argumente nehmen" müsse, "mit denen sie in der Öffentlichkeit Verwirrung stiften".

Zehn Tage später setzte der Sprecher der Stadt Dresden, Kai Schulz, nach. Er klopfte Müllers Zahl fest, war aber vorsichtig, indem er sie als "Zwischenergebnis" bewertete. Politisch aufschlußreich ist seine Bemerkung, man könne es nur als "Mythos" bezeichnen, die Angriffe auf Dresden eine "große Barbarei" zu nennen, wie es damals ein Mitglied der Reichsregierung formulierte (JF 16/05).

Weiter gingen die sich meist auf den Kommissionsvorsitzenden Müller berufenden Meldungen über absinkende Bombenopferzahlen, so etwa als Spiegel online am 20. März 2005 Müller zitierte, "die Geschichte der Bombenangriffe auf Dresden muß in einem wichtigen Punkt neu geschrieben werden", denn nicht 30.000 oder 35.000 Opfer seien zu registrieren, "ja, nicht einmal 25.000", sondern jetzt nur noch 22.000. Das endgültige Ergebnis kündigte er für Anfang 2006 an. Dieses werde dann "vom Oberbürgermeister unterschrieben und damit für alle Zeiten amtlich besiegelt sein".

Der Oberbürgermeister ergänzte am 24. März 2005 in einer Presseerklärung: Bei einer Arbeitsberatung der Kommission sei man zu dem "Zwischenergebnis gelangt", bisher seien "mindestens 25.000 Tote" belegt, doch müßten zahlreiche Zuschriften ausgewertet werden, die immer noch bei der Stadt eingingen. Auch werde die Kommission "verschiedene Fachgutachten einholen". Er rief Zeitzeugen auf, ihre Beobachtungen der Kommission zu melden.

Auf Anfrage ließ er jetzt wissen, daß die Kommission "voraussichtlich bis in den Herbst des Jahres 2006" mit der Analyse befaßt sein werde. Am 26. April 2006 werde in Dresden ein wissenschaftliches Kolloquium stattfinden, bei dem die Historikerkommission aus ihrer Arbeit berichten und Zwischenergebnisse vorstellen soll.

Bekanntgabe von Zahlen 2005 war mindestens voreilig

Aus Kreisen der Kommission hörte man, das zu sichtende Material sei viel umfangreicher als zunächst vermutet. Das in Aussicht genommene Kolloquium im Frühjahr soll öffentlich sein. Wann die amtlichen Zahlen veröffentlicht werden, ist zur Zeit nicht zu erfahren. Mehrfach definierte der Oberbürgermeister den Sinn der Verlustermittlungen. Er sieht darin "eine politische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in Vergangenheit und Gegenwart", obgleich doch eigentlich die Verlustzahlen der Luftangriffe auf die Zivilbevölkerung eher ein Licht werfen auf die Art der Kriegführung durch Briten und US-Amerikaner.

Aus all dem ergibt sich, daß die Bekanntgabe von Zahlen sowohl durch den Vorsitzenden der Kommission als auch durch den Oberbürgermeister im Frühjahr 2005 mindestens voreilig war, wenn nicht gar als versuchte Manipulation der Kommissionsergebnisse gewertet werden muß. Es dürfte angebracht sein, den Fortgang der Arbeit weiterhin kritisch zu begleiten.

Foto: Trümmerbeseitigung, Dresden 1945: Umfangreicher als vermutet

 

Hans-Joachim von Leesen veröffentlichte letztes Jahr das Buch "Bombenterror. Der Luftkrieg über Deutschland. Zeitgeschichte in Farbe". Arndt Verlag, Kiel 2005, 160 Seiten, gebunden, Abbildungen, 25,95 Euro


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